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01 - Winnetou I

01 - Winnetou I

Titel: 01 - Winnetou I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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glauben und habe so lange gebettelt, bis Winnetou mit seinem Vater sprach und dieser die Erlaubnis gab, Euch erst dann zu begraben, wenn die Fäulnis eintreten werde. Das haben wir der Fürsprache Winnetous zu verdanken. Ich muß hin zu ihm, muß ihn holen!“
    Ich schloß die Augen und lag nun wieder still, doch nicht im Grabe, sondern in einer seligen Müdigkeit, in einem wonnigen Frieden. Ich wünschte, ewig so liegenbleiben zu können. Da hörte ich Schritte. Eine Hand betastete mich und bewegte meinen Arm; dann vernahm ich die Stimme Winnetous:
    „Hat Sam Hawkens sich nicht geirrt? Ist Selki lata (Old Shatterhand) wirklich wach gewesen?“
    „Ja, ja. Wir haben es ganz deutlich gesehen. Er hat sogar mit Kopfnicken und Schütteln auf meine Fragen geantwortet.“
    „So ist ein großes Wunder geschehen. Aber es wäre besser, wenn es nicht geschehen, wenn er tot geblieben wäre. Er ist, nur um zu sterben, in das Leben zurückgekehrt. Er wird mit Euch wieder in den Tod gehen.“
    „Aber er ist der beste Freund der Apachen!“
    „Er hat mich zweimal niedergeschlagen!“
    „Weil er mußte!“
    „Er hat nicht gemußt!“
    „O doch! Das erstemal tat er es, um dir das Leben zu retten. Du hattest dich gewehrt und wärst von den Kiowas ermordet worden. Und das zweitemal hat er sich gegen dich wehren müssen. Wir wollten uns euch freiwillig ergeben, konnten das aber nicht, weil eure Krieger nicht auf unsere Versicherungen hörten.“
    „Das sagt Hawkens nur, um sich zu retten.“
    „Nein; es ist die Wahrheit!“
    „Deine Zunge lügt. Alles, was du mir erzählt hast, um dem Martertode zu entgehen, hat nur die Folge gehabt, uns zu überzeugen, daß Ihr noch größere Feinde von uns wäret als selbst die Hunde von Kiowas. Du bist uns entgegengeschlichen und hast uns belauscht. Wärst du unser Freund gewesen, so hättest du uns gewarnt; dann wären wir nicht dort am Wasser überfallen und an die Bäume gebunden worden.“
    „Aber Ihr hättet den Tod Klekih-petras an uns gerächt, oder, wenn dies aus Dankbarkeit vielleicht nicht geschehen wäre, so hättet Ihr uns wenigstens gehindert, unsere Arbeiten fortzusetzen und zu beendigen.“
    „Ihr habt dies auch so nicht tun können. Du ersinnst Ausreden, welche ein jedes Kind durchschauen muß. Hältst du Intschu tschuna und Winnetou für so dumm, ja, für noch dümmer als so ein kleines Kind?“
    „Das fällt mir ganz und gar nicht ein. Old Shatterhand ist wieder ohnmächtig geworden. Wäre er bei Bewußtsein und könnte er sprechen, so würde er dir mitteilen, daß ich die Wahrheit gesagt habe.“
    „Ja, er würde ebenso lügen wie du. Die Bleichgesichter sind alle Lügner und Betrüger. Ich habe nur einen einzigen Weißen gekannt, in dessen Herz die Wahrheit wohnte; dieser war Klekih-petra, den Ihr uns ermordet habt. In diesem Old Shatterhand hätte ich mich beinahe getäuscht. Ich sah seine Kühnheit und seine Körperkraft und bewunderte ihn. In seinem Auge schien die Aufrichtigkeit ihren Sitz zu haben, und ich glaubte, ihn lieben zu können. Aber er war genau ein solcher Länderdieb wie die andern; er verhinderte Euch nicht, uns in die Falle zu locken, und hat mir zweimal seine Faust an den Kopf geschlagen. Warum hat der große Geist einen solchen Mann geschaffen und ihm ein so falsches Herz gegeben.“
    Ich hatte ihn, als er mich berührte, ansehen wollen; aber der Wille fand bei den matten Bewegungsnerven keinen Gehorsam. Mein Körper schien aus Äther zu bestehen, ja, gar nicht aus durch die Sinne wahrnehmbaren Stoffen zusammengesetzt zu sein und also auch gar nichts Wahrnehmbares vernehmen zu können. Aber jetzt, als ich dieses Urteil Winnetous hörte, gehorchten mir die Augenlider. Sie öffneten sich, und ich sah ihn neben mir stehen. Er war jetzt in ein leichtes, leinenes Gewand gekleidet, trug keine Waffe und hielt ein Buch in der Hand, auf dessen Einband in großer Goldschrift das Wort Hiawatha zu lesen war. Dieser Indianer, dieser Sohn eines Volkes, welches man zu den ‚Wilden’ zählt, konnte also nicht nur lesen, sondern er besaß sogar einen Sinn und Geschmack für das Höhere. Longfellows berühmtes Gedicht in der Hand eines Apache-Indianers! Das hätte ich mir nie träumen lassen!
    „Er hat die Augen wieder offen!“ rief da Sam, und Winnetou drehte sich zu mir um. Er trat wieder zu mir heran, richtete sein Auge lange, lange auf das meine und fragte dann:
    „Kannst du reden?“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Hast du Schmerzen im

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