01 - Winnetou I
niederschmetternden Eindruck auf sie gemacht. Jetzt kamen sie herbei, und Sam sagte:
„Ich bin wie vor den Kopf geschlagen und kann es noch immer nicht fassen. Schrecklich, entsetzlich! Die liebe, schöne, gute, junge rote Miß! Ist stets so freundlich mit mir gewesen und soll nun ausgelöscht worden sein! Wißt Ihr, Sir, es ist mir grad so – – –“
„Wie es Euch ist, das behaltet für Euch, lieber Sam!“ fiel ich ihm in die Rede. „Wir müssen dem Mörder nach. Sprechen nützt nichts.“
„Well! Stimme Euch bei. Aber wißt Ihr denn, wohin er ist?“
„Jetzt noch nicht.“
„Dachte es mir. Habt ja seine Spur nicht gesehen. Wie sollen wir sie nun auffinden! Scheint unmöglich oder wenigstens außerordentlich schwierig zu sein.“
„Es ist nicht schwierig, sondern sehr leicht.“
„Meint Ihr? Hm! Wollt wohl sagen, daß wir hinauf in die Schlucht müssen, wo er seitwärts ausgekniffen ist? Wird ein langes Suchen geben!“
„Von der Schlucht ist gar keine Rede.“
„Nicht? Dann bin ich neugierig, was Ihr für einen Gedanken bringen werdet. Ja, manchmal kann ein Greenhorn auch einen Gedanken haben, doch – – –“
„Schweigt mit Euerm Greenhorn! Mir ist nicht so zumute, solche Redensarten anzuhören. Mit blutet das Herz, darum behaltet Eure Witze für Euch!“
„Witze? Halloo! Wer da etwa denkt, daß ich die Sache scherzhaft nehme, der bekommt von mir einen Box in den Leib, daß er von hier bis hinüber nach Kalifornien fliegt! Kann nur nicht begreifen, wir Ihr Santers finden wollt, ohne daß wir unsere Augen auf die Stelle setzen, wo seine Spur verlorengegangen ist.“
„Da müßten wir, wie schon gesagt, lange Zeit suchen. Und wenn wir die Spur fänden, hätten wir ihr über Berg und Tal und durch den dichten Wald zu folgen, was auch sehr langsam gehen würde. Darum denke ich, wir fangen es anders an. Nämlich wenn ich mir die Berge dort so betrachte, so möchte ich behaupten, daß sie nicht mit andern zusammenhängen, sondern isoliert stehen – – –“
„Ist auch ganz richtig. Kenne diese Gegend recht leidlich. Haben hier Ebene und jenseits wieder Ebene. Diese Berge gehören nicht zu einem Gebirgs- oder Höhenzug, sondern sie haben sich so ganz für sich allein in die offene Prärie hineingesetzt.“
„Prärie? Also gibt es Gras?“
„Ja, rundum Gras, grad so wie hier.“
„Darauf habe ich gerechnet. Santer mag auf oder zwischen diesen Bergen reiten, wie er will; das geht uns nichts an; aber sobald er sie verläßt, kommt er auf die offene Prärie und muß im Gras eine Spur hinterlassen.“
„Das versteht sich ja ganz von selbst, verehrter Sir!“
„Hört nur weiter. Wir bilden zwei Trupps und umreiten die Berge, wir vier Weißen von rechts und die zehn Apachen, welche Winnetou mir angewiesen hat, von links. Jenseits treffen wir zusammen und werden dann erfahren, ob einer der Trupps auf die Fährte gestoßen ist. Ich bin überzeugt, daß dies der Fall sein wird, und dann folgen wir ihr.“
Mein kleiner Sam sah mich von der Seite an, machte ein nicht außerordentlich erbautes Gesicht und rief aus:
„Lack-a-day! Wer hätte das gedacht! Daß ich nicht auch darauf gekommen bin! Ist ja das Einfachste und Sicherste, was es gibt; das muß eigentlich jedes Kind einsehen, wenn ich mich nicht irre!“
„Ihr seid also einverstanden, Sam?“
„Vollständig, Sir, vollständig. Sucht Euch nur schnell zehn Rote aus!“
„Ich werde diejenigen wählen, welche am besten beritten sind. Wer weiß, wie lange wir den Kerl zu jagen haben. Darum müssen wir uns auch reichlich mit Proviant versehen. Wenn Ihr diese Gegend leidlich kennt, so wißt Ihr vielleicht, wie lange es dauert, bis man von hier aus die andere Seite der Berge erreicht?“
„Wenn wir uns sehr beeilen, so kann es trotzdem über zwei Stunden währen.“
„So wollen wir nicht länger zögen.“
Ich bestimmte die zehn Apachen, welche sich über meine Wahl freuten, denn dem Mörder nachzusetzen, war ihnen lieber, als bei den Leichen Totenlieder zu singen. Die übrigen zwanzig instruierte ich genau über den Weg, welcher zu Winnetou führte, und dann ritten wir davon.
Kurze Zeit später brachen meine zehn auf, um die Berge nach links, also in einem nach Westen gekrümmten Bogen zu umreiten, während unsere Richtung uns ostwärts um die Höhen führte. Als wir vier dann auch aufsaßen, ritt ich zunächst nach Santers Nachtlager und suchte mir von da aus eine Stelle, wo der Huf des Pferdes, welches ich
Weitere Kostenlose Bücher