010 - Die Bestie mit den Bluthänden
auch vermeiden, und er ärgerte sich, dass er
vergessen hatte, seinen weißen Kittel auszuziehen. In der letzten Zeit, in der
er mehr Stunden am Tag in seinem Labor verbrachte als im Haus bei seinen
Patienten, vernachlässigte er sich etwas. Er bewegte sich normalerweise in Hose
und Sporthemd oder im Anzug, wenn er sich im Haus aufhielt. Doch wenn er mit
den Tieren experimentierte, zog er stets den Kittel über, um sich nicht zu
beschmutzen.
»Man kann die Terrassentür Tag und Nacht offenlassen, nicht wahr?« meinte
Kitty Dandrell beiläufig, während sie tief die milde Luft einatmete und ganz
bewusst auf das Zwitschern der Vögel achtete. »Es ist doch niemand in der Nähe,
der hier eindringen könnte. Ich liebe es, bei offenem Fenster zu schlafen.«
»Niemand wird Ihnen das verbieten«, entgegnete Sandos leise. »Es gibt
keinen Grund, warum Sie die Terrassentür verschlossen halten sollen.«
Als er mit Nicole das Zimmer von Kitty Dandrell verließ, legte er leicht
seinen Arm um die Schultern der hübschen Französin, die sich an ihn schmiegte.
Sie sprachen belanglose Dinge miteinander, die einen Außenstehenden nicht
im Entferntesten interessiert hätten.
Nicole sah nicht das unheimliche Licht in den Augen des Psychotherapeuten
und bemerkte nicht die Lügen, die über seine Lippen kamen. Sie erkannte nicht,
dass Sandos nur noch ein Schatten seiner selbst war, ein Besessener, ein
Verlorener.
Er hatte sie nicht nur in Hypnose aus dem Haus von Blandeau zurückgebracht,
sondern auch das Bild mitgenommen. Außerdem hatte er hier bessere
Untersuchungsmöglichkeiten, konnte zu jeder Zeit kommen und Vergleiche
anstellen. Und er hatte Nicole in greifbarer Nähe, sein neues Versuchsobjekt!
Er würde sie noch am Abend zum zweiten Mal mit dem Bild konfrontieren und konnte
den Einbruch der Dunkelheit kaum erwarten.
●
Larry Brent hatte damit gerechnet, dass seine Mission bei Kommissar Rekon
innerhalb einer Stunde abgeschlossen sein würde. Jetzt erkannte er, wie sehr er
sich verschätzt hatte. Knapp drei Stunden hatte sein Aufenthalt im Büro des
Franzosen gedauert.
Eine Frage hatte die andere nach sich gezogen. X-RAY-3 hatte einen tiefen
Einblick in die Fälle gewonnen. Nachdenklich ging der Amerikaner zur Tür. »Es
ist merkwürdig«, sagte er leise. Die Dinge gingen ihm nicht aus dem Kopf. Er
fasste sie in wenigen Worten noch einmal zusammen. »Mit dem Mord an Ihrem
Beamten Projcest sind es fünf Fälle, die Sie im Augenblick beschäftigen. Die
beiden ersten unterscheiden sich merklich von den drei nachfolgenden. Es sieht
ganz so aus, als wären sie der Hand eines anderen Täters zum Opfer gefallen.
Bemerkenswert dazu: Sie kamen durch ein Skalpell um. Sie sagten, Sie hätten
ein ähnliches bei Dr. Sandos gesehen. Sandos ist Psychologe. Wieso besitzt er
Skalpelle?«
»Er experimentiert mit Tieren. Er schneidet ihre Schädel auf.«
»Okay. Rekonstruieren wir weiter: die altmexikanischen Knotenschriften, die
sogenannten Quipus. Welche Rolle spielen sie? Sie erwähnten dazu noch einmal
den Namen Blandeau, der eine Kapazität auf dem Gebiet der Inka- und
Aztekenforschung ist. Wie Sie mir weiter bestätigt haben, zogen Sie im Lauf des
gestrigen Tages Monsieur Henri Blandeau zu Rate. Sie brachten ihn in ein Hotel
nach Rostrenen, wo er mit einem anderen Altertumsforscher, einem Spezialisten,
den Sie aus Paris haben kommen lassen, konferieren sollte. Es ging speziell um
die Entzifferung der Knotenschrift, wie ich mir denken kann.«
»Die Zusammenkunft hat – bis heute früh jedenfalls – noch kein greifbares
Ergebnis erbracht. Wie mir unser Spezialist mitteilte, hat Monsieur Blandeau in
den frühen Morgenstunden das Hotel verlassen. Er hat ein Quipu mitgenommen und
sagte, dass er einige wichtige Vergleiche in seinem Haus anstellen müsse. Dazu
benötige er bestimmte Bücher, die für ihn im Hotel nicht greifbar seien. Nun,
warten wir ab, was sich daraus ergibt. Bis zur Stunde haben wir noch keine
weitere Nachricht erhalten. Ich werde Sie selbstverständlich auf dem laufenden
halten, sobald eine Neuigkeit eintrifft.«
Larry Brent nickte. »Das könnte mir unter Umständen große Dienste leisten.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass unsere Arbeiten unmittelbar miteinander zu
tun haben.«
»Vielleicht gibt es einen sechsten Toten – von dem wir noch nichts wissen«,
bemerkte Fernand Rekon hierzu, und er spielte auf X-RAY-16 alias Mike Burton
an, von dem bis zur Stunde keine Meldung in New York
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