010 - Die weiße Hexe
versuchte seine übernatürlichen Fähigkeiten in die Waagschale zu werfen. Er konnte viele verblüffende Dinge tun.
In Streßsituationen wuchs er häufig über sich hinaus. Aber er vermochte seine »Kunststücke« nicht beliebig oft zu wiederholen.
Was ihm heute mühelos gelang, mußte er morgen nicht genauso gut schaffen. Der Hüne mit den Silberhaaren war gewissen Schwankungen unterworfen. Er war kein Automat, der auf Knopfdruck immer dieselbe Leistung erbringen konnte.
Es war nicht vorherzusehen gewesen, daß er diesmal eher in einer leichten Formkrise steckte. Er wußte das selbst nicht, sonst hätte er sich darauf eingestellt.
Erst jetzt, wo es zum Kampf gekommen war, merkte Mr. Silver, daß er schleppend reagierte, daß seine Reflexe anscheinend eingerostet waren, daß er nicht so auf der Höhe war, wie er es gern gewesen wäre.
Der Höllenscherge schlug nach ihm.
Mr. Silver schaffte es gerade noch, der Peitsche auszuweichen. Es gelang ihm, seinen Körper zu Silber erstarren zu lassen, aber er schaffte es nicht, die nötige Energie zu aktivieren, um einen vernichtenden Feuerblick zustandezubringen. Diesmal rasten keine tödlichen Blitze aus seinen Augen, obwohl das sonst immer klappte.
Verdammt! schoß es ihm durch den Kopf. Was ist mit mir los?
Er konnte nur mit halber Kraft kämpfen.
Aber mit ganzem Herzen.
Grimmig wuchtete sich der silberne Hüne dem Höllenschergen entgegen. Er stieß den Peitschenarm des Gegners zur Seite und schlug ihm seine Silberfaust ans Kinn. Die Wucht des Schlages warf den Schwarzblütler gegen die Wand. Ein zorniges Zischen drang aus seinem Maul. Der Gehörnte stemmte sich von der Mauer ab und flog wie vom Katapult geschleudert auf Mr. Silver zu.
Der Ex-Dämon fing das Monster ab.
Mit beiden Händen packte er den Kerl, nützte dessen Schwung aus, hob ihn hoch und warf ihn kraftvoll auf den Boden.
Doch Magos Scherge glich einem Gummiball. Er federte sofort wieder hoch und war einsatzbereit.
Der Hüne wollte den Kampf endlich für sich entscheiden. Er startete. Sein Gegner holte mit der Höllenpeitsche aus. Mr. Silver hätte besser darauf achten müssen. Er übersah die Absicht des schleimigen Ungeheuers.
Prompt rächte sich das.
Das schwarze Leder pfiff durch die Luft. Waagrecht schnitt es heran und traf Mr. Silvers Hals. Eine vernichtende Energie wirkte sofort auf den Ex-Dämon ein. Ihm war, als würden Pfeilspitzen alle seine Muskeln durchbohren.
Magie kämpfte gegen Magie.
Mr. Silver mobilisierte seine Kraftreserven und warf sie in den mörderischen Kampf. Würde er es schaffen? Konnte er sich gegen die zerstörende Kraft der Höllenpeitsche behaupten? Oder würde ihn die Peitsche töten?
Während er sich verzweifelt gegen die Niederlage wehrte, schoß ihm ein Name durch den Kopf: Lathor!
Lathor, das war der Mann mit dem Wolfsschwert gewesen. Nur ungern erinnerte sich der Ex-Dämon an diesen Fall, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Lathor hatte ihn trotz des Silberschutzes verletzt, und er wäre daran beinahe zugrunde gegangen.
Sollte Magos Scherge noch mehr als Lathor erreichen?
Der Ex-Dämon befürchtete, daß seine Kräfte nicht ausreichten, um zu siegen. In seinem Körper schienen glühende Messer zu kratzen. Mr. Silver bäumte sich verbissen auf. Er packte die Todespeitsche und riß sie sich vom Hals.
Aber gerettet war er deswegen noch nicht.
Die Peitsche hatte ihn total ausgelaugt. Er merkte, daß das Silber seines Körpers weich wurde. Er konnte den Metallzustand, der ihn normalerweise schützte, nicht mehr länger aufrechterhalten.
Der Ex-Dämon nahm, ohne es zu wollen, sein gewohntes Aussehen wieder an. Er spürte, wie ihn die letzten Kräfte verließen, konnte sich nicht länger auf den Beinen halten und brach stöhnend zusammen.
Viele andere Gegner hätten in diesem Kampf ihr Leben verloren.
Mr. Silver verlor nur das Bewußtsein – und seine übernatürlichen Fähigkeiten!
***
Im Festsaal ging das bunte Programm zu Ende. Begeisterter Applaus. Der Künstler, der die Bombenstimmung geschaffen hatte, wurde mit gellenden Pfiffen und Fußgetrampel verabschiedet. »Zu-ga-be!« schrien die Leute. »Zu-ga-be!« Aber der Künstler wollte nicht mehr. Zu drei Zugaben hatte er sich bereits überreden lassen.
Das mußte reichen.
Er verließ die Bühne.
Dahinter sagte er zu Dinsdale Lamb: »Jetzt gehören sie dir. Ich habe sie bestens für dich vorbereitet. Sie werden jeden Ramsch kaufen.«
Lamb zupfe an dem roten Tuch, das seinen Hals
Weitere Kostenlose Bücher