0100 - Die Schule der Dämonen
der Frau, die er liebte, der er mehr vertraute als jedem anderen Menschen in der Welt. Normalerweise. Aber nicht in dieser Nacht.
Sie war es gewesen, die ihm das Amulett weggenommen hatte. Daran zweifelte er keine Sekunde. Der Verlust des Amuletts war eine böse Sache für ihn, schlimmer vielleicht noch, als wenn er das Augenlicht oder das Hörvermögen verloren hätte. Er war nicht mehr in der Lage, die Nähe finsterer Mächte wahrzunehmen, konnte keine Warnungen mehr empfangen.
Und er war somit nicht imstande, mit Sicherheit zu sagen, ob Nicole sich nicht doch verändert hatte. Hielt die Hypnosewirkung, nur zeitweilig unterbrochen, noch an? Stand sie noch unter dem Einfluß des Bösen? War sie tatsächlich vielleicht sogar ein Dämon, täuschend echt nachgeahmt wie die beiden Gendarmen und der distinguierte ältere Herr?
Je weiter die Nacht fortschritt, desto sicherer wurde er jedoch, daß sie wieder die alte war. Sie lag neben ihm im Bett und schlief. Ihr Schlaf war äußerst unruhig. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere, sprach ein paarmal im Schlaf und schreckte auch mehrmals hoch, wie von schrecklichen Alpträumen geplagt. Gerade diese für Nicole untypische Verhaltensweise überzeugte den Prosessor. Wäre etwas Unechtes an ihr gewesen, dann hätte sie sich wahrscheinlich so verhalten wie immer, hätte geschlafen wie ein Murmeltier, um ihn in Sicherheit zu wiegen. So jedoch… Ja, er glaubte schließlich, daß sie nicht mehr von dämonischen Kräften beherrscht wurde.
Trotzdem blieb er, um ganz sicher zu sein, die ganze Zeit über wach. Dabei gab er sich jedoch den Anschein, als sei er ebenfalls in einen unruhigen Schlaf gefallen. Die Tatsache, daß Nicole während dieser vorgetäuschten Schlafperiode keine Anstalten machte, ihm nach dem Leben zu trachten, überzeugte ihn zusätzlich von ihrer Vertrauenswürdigkeit.
Schließlich kam der Morgen…
***
Die Zweigstelle der Banque d’Epernay in Limaux hatte vor wenigen Minuten geöffnet.
Serge Rocheaux, der Kassierer, war noch dabei, Scheine und Münzen griffbereit zu sortieren, als bereits der erste Kunde vor seinem Schalter erschien. Rocheaux blickte nicht sofort hoch, sondern sortierte erst einmal weiter. Es war immer seine Devise gewesen, nichts zu überstürzen.
Schließlich sah er auf.
Und starrte in die dunkle Mündung einer großkalibrigen Waffe.
Der Kassierer war total verblüfft. Seit mehr als zehn Jahren saß er am Kassenschalter der Bank. Und nicht ein einziges Mal während dieser Zeit hatte es einen Überfall gegeben. Und jetzt… er konnte es noch gar nicht richtig glauben.
Dennoch war an den ernsten Absichten des Mannes vor dem Schalter nicht zu zweifeln. Der Mann trug einen ziemlich abgerissen aussehenden grauen Anzug und hatte sich ein schwarzes Tuch vor das Gesicht gebunden. Den speckigen Hut hatte er tief in die Stirn gezogen. Nur die nervös flatterten Augen lugten zwischen Tuch and Hutkrempe hervor.
»Los, gib das Geld her!« forderte er den Kassierer mit heiserer Stimme auf.
Serge Rocheaux blieb ganz ruhig. Nur nichts überstürzen! Unauffällig tastete er mit dem rechten Fuß nach dem Alarmknopf unter dem Pult und trat ihn nach unten. Niemals bisher war die direkte Leitung zwischen Bank und Polizeirevier benutzt worden, abgesehen von regelmäßigen Tests. Jetzt kam die erste ernsthafte Bewährungsprobe.
Der Bankräuber hatte nichts von der Auslösung des Alarms mitbekommen. Ungeduldig fuchtelte er mit seiner Kanone herum.
»Los, mach schon, sonst…« Seine Stimme war ein drohendes Knurren.
Langsam, ganz langsam fing der Kassierer an, Banknoten zusammenzuklauben. Das Polizeirevier lag nur ein paar hundert Meter entfernt. Wenn sich Pellin und seine Leute beeilten, konnten sie in wenigen Augenblicken zur Stelle sein.
»Schneller!« kommandierte der Räuber.
»Ja, ja, doch«, sagte Rocheaux beinahe gemütlich. Er hatte keine Angst vor dem maskierten Mann. Der war jedenfalls viel nervöser als er selbst.
Er hatte die Banknoten jetzt gebündelt.
»Wollen Sie das Hartgeld auch?« erkundigte er sich zuvorkommend.
»Nein, verflucht! Nur die Scheine. Hier… tun Sie es hier hinein.«
Mit diesen Worten warf der Bankräuber eine zusammengeknüllte Plastiktüte über die Panzerglasscheibe. Umständlich faltete der Bankangestellte sie auseinander. Und genau so umständlich steckte er die Banknoten hinein. Dann warf er sie dem Räuber zurück.
Wo, zum Teufel, bleiben diese lahmen Flics? dachte er.
Er hatte den Gedanken
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