0100 - Die Schule der Dämonen
besonders erfreulicher Anblick. Dann stießen sie auf einen etwa dreizehnjährigen, kräftigen Jungen, der eine Frau ohrfeigte, die ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war. Wahrscheinlich handelte es sich um die Mutter des hoffnungsvollen Sprößlings. Zamorra kämpfte seine Empörung nieder. Vielleicht hatte die Frau den Jungen ungerecht behandelt oder so was.
Nach ein paar hundert Metern sahen sie die einladenden Schilder von zwei Hotels. »Reims« und »L’Auberge d’or«. Zamorra fuhr den Renault in eine Parktasche. Beide Hotels machten von außen den gleichen mittelprächtigen Eindruck, und so hatten Zamorra und Nicole die Qual der Wahl.
Sie entschieden sich für das »Reims«, da in dessen Tür ein Mann im dunklen Anzug stand und ihnen einladend entgegenlächelte.
Zamorra holte ihre Koffer aus dem Kofferraum. Dann gingen sie auf die Eingangstür zu.
»Sie wollen ein Zimmer?« fragte sie der Mann gleich.
»Zwei Zimmer«, sagte Zamorra. Nicole und er sollten nicht als Paar erscheinen, sondern als Chef und Angestellte. »Sind Sie der Besitzer?«
Der Mann bejahte und bat sie ins Haus. Es gab eine kleine Rezeption, die allerdings nicht besetzt war. Der Besitzer trat selbst hinter die Holzbarriere.
»Wenn Sie bitte die Anmeldungen ausfüllen würden?«
Zamorra füllte aus. Roger Duclos und Magali d’Estelle aus Lyon. Repräsentant einer Buchgemeinschaft nebst Mitarbeiterin. Er schob dem Hotelier die Anmeldezettel zu. Der musterte sie flüchtig und legte sie dann in eine Schublade.
»Es ist üblich bei uns, daß im voraus bezahlt wird«, erklärte er. »Wie lange werden Sie bleiben?«
»Das wissen wir noch nicht«, erwiderte der Professor. »Vielleicht nur einen Tag.«
»Dann bekomme ich fünfzig Franc von Ihnen, Monsieur.«
Zamorra zückte seine Brieftasche und reichte dem Mann eine Hundert-Franc-Note. Dieser ließ sie schnell verschwinden.
»So«, sagte er dann, »ich zeige Ihnen dann Ihre Zimmer.« Er kam hinter der Rezeption hervor.
»Langsam, Monsieur«, sagte Zamorra. »Ich bekomme noch fünfzig Franc zurück.«
»Fünfzig Franc zurück?« staunte der Hotelier. »Wieso, wenn ich fragen darf?«
»Ich habe Ihnen einen Hundert-Franc-Schein gegeben.«
»Was haben Sie?« entrüstete sich der Mann. »Wollen Sie damit etwa sagen, daß ich ein Betrüger bin?«
»Sieht fast so aus, nicht?«
»Das ist…« Der Mann, der an sich einen recht vertrauenswürdigen, seriösen Eindruck hinterließ, plusterte sich regelrecht auf. »Paul!« rief er laut.
Hinter der Rezeption öffnete sich eine Tür. Ein zweiter Mann trat hervor. Ein wahrer Bulle. Brustkasten wie ein Stier, Arme wie Dreschflegel, Gesicht eines sadistischen Metzgermeisters.
»Chef?«
»Ich bin hier gerade als Betrüger bezeichnet worden, Paul«, erläuterte der Hotelier.
Der Bulle kam in drohender Haltung nach vorne. In seinem Gesicht stand die blanke Mordlust.
Zamorra hatte nicht die geringsten Befürchtungen, mit diesem Burschen nicht fertig werden zu können. Aber wieder stand er vor dem Zwang, im Interesse seiner Maskerade nicht den wilden Mann herauszukehren. Deshalb gab er zähneknirschend klein bei.
»Schon gut, Monsieur«, sagte er schnell. »Wahrscheinlich habe ich mich geirrt. Es wird wohl doch nur ein Fünfzig-Franc-Schein gewesen sein.«
»Gut, daß Sie es einsehen«, lächelte der Hotelier mit sattem Triumph in den Augen. »Paul, du kannst wieder gehen.«
Der Bulle verschwand wieder durch die Tür, aus der er kurz zuvor gekommen war.
Es zuckte Zamorra in der Hand, dem betrügerischen Hotelier eins zwischen die Zähne zu geben. Aber er beherrschte sich eisern. Warnend trat er Nicole auf den Fuß, die gerade Anstalten machte loszubrausen.
»Wenn Sie uns dann jetzt unsere Zimmer zeigen würden?« forderte er den Hotelbesitzer mit verkniffenem Gesicht auf.
»Ach, die finden Sie ganz leicht selbst«, sagte der Mann. »Erster Stock, Nummer siebzehn und neunzehn. Da um die Ecke, die Treppe rauf.«
Der Professor nahm die Koffer hoch und marschierte los. Nicole folgte ihm.
Der Weg war tatsächlich ganz leicht zu finden. Eine mit abgetretenem Teppichboden ausgelegte Treppe führte in die erste Etage. Die Zimmer lagen nebeneinander in einem schwach erleuchteten Korridor. Der Korridor war trotz der eher bescheidenen Lichtverhältnisse gut zu übersehen. An einer Wand sah Zamorra ein sehr schönes, in sanften Pastellfarben gehaltenes Ölbild. Es handelte sich, wie er mit Kennermiene feststellte, um ein Original.
Zamorra grinste.
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