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0104 - Portaguerra

0104 - Portaguerra

Titel: 0104 - Portaguerra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wunderer
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Schein der mitgebrachten Taschenlampe brauchte ich nicht lange zu suchen. Die Kamera lag auf einer schrägen Felsplatte. Nur ein kleines Stück weiter, und sie wäre unaufhaltsam in den Abgrund gerutscht.
    Während des Rückweges ging der Mond auf. Es war ein herrliches Naturschauspiel, wie sich der milchige Schein über die Berge legte und scharfe Schatten in die Täler zauberte. Ich blieb allerdings nicht stehen, so reizvoll dieser Anblick auch für mich als Großstadtmenschen war. Ich sorgte mich um die ungefähr zwei Dutzend Menschen im Berghotel, Gäste und Personal eingeschlossen. Die meisten hatten keine Ahnung, was sich hier abspielte.
    Jane saß mit Shaun in der Halle. Unser neuer Freund hatte endlich den Anorak ausgezogen. Trotzdem wirkte er in dem feinen Ledersessel und zwischen den blank polierten Messingtischen und den Zimmerpalmen wie ein Bierkrug in einer Sammlung feinsten Porzellans.
    »Hier, ich habe die Kamera, Shaun.« Ich hielt den arg ramponierten Apparat hoch. »Wo kann ich den Film entwickeln lassen? Heute nacht noch, meine ich!«
    »Da wirst du wahrscheinlich nach Grenoble fahren müssen«, meinte Jane. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen und zog damit die Blicke des jungen Mannes an, der anstelle von Anouk Lerois hinter der Rezeption stand.
    »Da hast du heute kein Glück mehr, John«, erklärte Shaun.
    »Schon möglich, daß du im Tal einen Fotografen findest, der für dich eine Nachtschicht einlegt. Aber die Seilbahn wurde mit Einbruch der Dunkelheit eingestellt.«
    Mir lag schon eine Verwünschung auf den Lippen. Ich hielt sie jedoch zurück. »Was ist mit diesem Mann im Rollstuhl? Wohnt er nicht im Hotel? Er könnte doch die Seilbahn…«
    »Nichts zu machen! Domenico fährt jeden Abend mit der letzten Gondel ins Tal. Er kommt erst morgen früh wieder hoch.«
    »Aber man könnte doch ins Tal telefonieren und…«, setzte ich an.
    »Pardon, Monsieur!« Der Angestellte kam hinter der Rezeption hervor. »Ich könnte Ihnen helfen. Ich bin Hobbyfotograf und habe in meinem Zimmer alle Apparate und Chemikalien zum Filmentwickeln. Vorausgesetzt, es ist ein Schwarzweißfilm.«
    »Sehen wir doch gleich nach«, schlug ich vor.
    »Und ich kümmere mich um Madame Lerois«, erklärte Jane. »Gehen Sie zu Monsieur Lerois, Shaun! Die beiden brauchen Hilfe.«
    Der Hotelangestellte war eigentlich Kellner, wie er mir erzählte.
    Die Rezeption hatte er nur ausnahmsweise übernommen und ließ sich nun von einem Kollegen vertreten. Während er in seinem Zimmer den Film in völliger Dunkelheit aus der Kamera nahm und zurückspulte, schilderte er die Zustände im Hotel.
    »Seit die drei Söhne verschwunden sind, läuft nichts mehr richtig. Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Schock das für Monsieur und Madame war! Und heute abend… ich habe die beiden gesehen … mon dieu, also stimmen die alten Legenden!«
    »Über Portaguerra, den Magier aus Turin?« hakte ich nach.
    »Genau, Monsieur Sinclair! Ich dachte immer, es wäre dummes Zeug, aber er soll noch in der Todeswand leben und Menschen in den Abgrund schleudern, wenn sie ihm zu nahe kommen. Er kann die Wand nicht verlassen, weshalb er irgendwo auf seine Opfer lauert. Die Lerois-Brüder wären niemals abgestürzt. Dazu waren sie zu erfahrene Bergsteiger.«
    Eine halbe Stunde später war der Film aus dem Fotoapparat des vermißten Reporters entwickelt. Der Kellner hob ihn gegen das Licht, stieß einen Schrei aus und ließ ihn entsetzt fallen. Er streckte angewidert seine Hände von sich, als habe er etwas Abscheuliches berührt.
    Ich bückte mich hastig und hob den Filmstreifen auf. Schon der erste Blick jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken.
    Wir hatten das Blitzlicht in der Todeswand gesehen. Folglich mußten diese Aufnahmen auch aus der Wand stammen. Sie zeigten einen totenschädelähnlichen Kopf unter einer weiten Kapuze. Auf einem einzigen Bild war die ganze Gestalt zu sehen, mit der Raoul Gasconne zusammengetroffen war.
    Wieder der mumifizierte Schädel, dazu die Kapuze, die an einem weiten Umhang befestigt war, der vorne aufklaffte. Über einem Knochengerüst spannte sich bleiche Haut. Auf dem Negativ war der Mantel weiß, der Körper des Unheimlichen fast schwarz. Das letzte Foto war auf der »Nase« entstanden. Dort hatte es zum letzten Mal aufgeblitzt.
    »Sprechen Sie mit keinem Menschen darüber«, bat ich den Kellner. »Es würde im Hotel eine Panik auslösen.«
    Er kauerte verstört auf seinem Stuhl. »Das ist

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