0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab
Gefahren und Tücken. Er mußte auf der Hut sein, um sich von Robert Houdain nicht austricksen zu lassen.
Was Abbé Lapm betraf, so schien alles angetan, ihn noch nervöser und ängstlicher zu machen. Er fror, obgleich warm gekleidet, bis ins Mark. Er mußte sich ziemlich beherrschen, um seine Zähne nicht hörbar schnattern zu lassen.
Zamorra begriff wohl, daß das nicht allein am Wetter lag. Die niederen Temperaturen mußte Lapin gewöhnt sein. Er wohnte schon eine Reihe von Jahren in Mazamet und hatte sich zweifellos daran gewöhnt. Woran er sich niemals gewöhnen würde, war, daß es Menschen wie Houdain gab. Oder stand ihnen die Bezeichnung Mensch schon gar nicht mehr zu? Waren sie Teufel, die nur Menschengestalt angenommen hatten?
Denn was sie taten, ging ja wohl stark über das hinaus, was abergläubische Bauern Schadenzauber nennen. Hier ging es schließlich um mehr als ein bißchen totes Vieh, einen Scheunenbrand oder Krankheiten, die niemand aufklären konnte. Ganz zu schweigen von solchen Zufälligkeiten wie vernichteten Ernten.
Es war Blut geflossen. Und alles deutete darauf hin, daß es bei diesen Opfern nicht bleiben würde. Houdain meinte alle in Mazamet. Er wollte sich so umfassend rächen, daß am Ende von dem Ort nicht viel und von seinen Bewohnern gar nichts übrigblieb.
Lapin wurde den Verdacht nicht los, wie leicht er als nächster an die Reihe kommen konnte. Und der Gedanke behagte ihm nicht. Er machte ihm mehr zu schaffen als dieser verdammte Nieselregen oder der Wind, der ihm genau ins Gesicht blies.
Er stapfte hinter dem Professor her, der sich zurechtfand, als habe er nie etwas anderes getan als in der Umgegend von Mazamet seine Sekretärin zu suchen.
Nichts deutete daraufhin, daß es zu ungewöhnlichen Ereignissen kommen könnte. Sie erreichten unangefochten die Stelle, an der sie Nicole Duvals kleinen Citroën gefunden und geborgen hatten. In der Böschung sah man noch die Spuren des Malheurs.
An dieser Stelle stoppte der Professor unvermittelt und schaute sich um. Er schien sich nicht schlüssig zu sein.
»Wo geht es zu dem alten Schafstall?« fragte er.
»Wollen wir wirklich hin?« antwortete der Abbé mit einer Gegenfrage.
»Wissen Sie eine bessere Lösung?«
Zamorra schien ein wenig gereizt, ein Zeichen, daß auch er den Dingen nicht mehr gelassen gegenübertrat. Er mußte an zu vielen Fronten kämpfen und hatte sich nicht schonen können.
Ehe noch Lapin Auskunft geben konnte, erschien ein geheimnisvolles Leuchten. Lapin glaubte zuerst an einen Regenbogen, aber sämtliche Voraussetzungen fehlten.
Langsam zog sich diese ferne Leuchten zusammen bis auf den Umfang eines Kreises, der einer Zielscheibe entsprach. Da stand das kalte, prächtige Leuchten bereits genau über ihnen.
Lapin legte den Kopf in den Nacken, und einen Augenblick glaubte er, der Himmel stürzte über ihnen zusammen. Er mußte die Augen schließen. Zu grell leuchteten die Farben, die ständig wechselten.
Dann setzte sich das magische Auge in Bewegung und Lapin folgte ihm. Willenlos wie ein Mondsüchtiger und ohne ein Wort zu sprechen.
Zamorra schaute ihn einmal kurz von der Seite an, dann folgte er einfach dem Priester, der in seiner Soutane über das Feld schritt, einfach dem Leuchten nach.
Hier gab es weder Weg noch Steg, aber mit schlafwandlerischer Sicherheit hielt der Abbé Kurs. Seine Augen zeigten das Weiße.
Zamorra schaute sich aufmerksam um. Er war keineswegs überrascht, als er in der Ferne über der öden Landschaft ein wenig Rauch aufsteigen sah. Das mußte der alte Schafstall sein. Und wenn dort der Kamin Rauchzeichen gab, mußte dort auch jemand wohnen. Also war Houdain dort untergeschlüpft.
Leider erreichten sie nicht ohne Zwischenfälle das Ziel.
Plötzlich verschwand das Licht. Lapin erwachte wie aus tiefem Schlaf. Er rieb sich verwundert die Augen und konnte sichtlich nicht erklären, wie er an diesen Ort gelangt war. Die letzten Kilometer waren aus seinem Gedächtnis gestrichen, als habe es sie nie gegeben.
»Was war das?« erkundigte sich der Abbé.
»Eine persische Lichtorgel«, erklärte Zamorra geduldig. »Nicht jeder hält sie aus. Den meisten raubt es den Verstand. Wie gerade Ihnen. Und damals wahrscheinlich Nicole. Sie wußte gar nicht mehr, was sie tat, und lief blindlings ins Verderben.«
»Sie meinen…?«
»Ich denke, wir finden dort in dem Schafstall nicht nur Nicole, sondern auch diesen verdammten Houdain. Und ich kann Ihnen nicht versprechen, daß ich besonders
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