0106 - Der Komet aus der Hölle
Podolska, die Mutter Svetlana Techowas, eine Witwe, teilte die Vier-Zimmer-Wohnung mit ihrer Tochter, dem Schwiegersohn und den Kindern.
Wohnungen waren auch in Kiew nicht gerade dicht gesät. Der Major sah seine Familie meist nur an den Wochenenden. Svetlana arbeitete ganztags bei einem Planungskomitee der Stadtverwaltung. Da wurde Natascha Podolska dringend gebraucht, um auf die Enkel aufzupassen und sie zu versorgen.
Draußen schneite es dicke Flocken. Natascha Podolska konnte aus dem Fenster auf das Denkmal des Generals Watutin hinuntersehen, dessen Truppen 1943 die Stadt von der deutschen Wehrmacht entsetzt hatten. Der Dnjepr wälzte sich träge und grau in seinem Bett dahin.
Natascha Podolska gähnte. Das schien ein ereignisloser Nachmittag zu werden. Das Telefon klingelte. Die rundliche Frau erhob sich ein wenig unwillig, legte das Strickzeug weg und nahm den Hörer ab.
»Ah, Dr. Kapnin. Was gibt es? - Natürlich ist hier alles in Ordnung, warum fragen Sie? - Ich weiß gar nicht, was Sie meinen, selbstverständlich passe ich auf die Kinder auf. - Einen Polizisten? Wozu, um alles in der Welt, wollen Sie denn den herschicken? - Naja, wenn Sie es so dringend für nötig halten und mir absolut nichts erklären wollen. Grüßen Sie Svetlana und Jurij von den Kindern und mir. - Ja, ich werde Sie sofort anrufen, falls sich etwas ereignen sollte, Dr. Kapnin. Aber ich wüßte nicht was. Also, ich verstehe diese Geheimnistuerei nicht, aber ich bin ja auch nur eine einfache alte Frau. - Na, immerhin im nächsten Jahr schon dreiundfünfzig, und das ist kein Pappenstiel. - Ja, leben Sie wohl.«
Die Podolska legte auf und kehrte kopfschüttelnd zu ihrem Sessel zurück.
»Total überarbeitet, dieser Nikolaj Kapnin«, murmelte sie. »Jetzt spinnt er endgültig.«
Sie nahm ihr Strickzeug wieder auf und suchte die verlorene Masche. Da schob Boris sein Spielzeugauto weg.
»Babuschka, Großmütterchen, was ist denn das für ein Lärm?«
Natascha Podolska hatte es bereits vernommen, aber nicht darauf geachtet. Jetzt horchte sie auf. Ein teuflisches Fauchen und Heulen ertönte, schwoll zu einem infernalischen Getöse an. Natascha Podolska stürzte zum Fenster.
»Heilige Muttergottes von Kasachstan!« schrie sie.
Ein feuriger Komet mit langem Schweif stürzte auf die Stadt nieder, raste genau auf das Apartmenthaus an der Kirowska zu. Fast stockte das Herz der Podolska. Sie glaubte nichts anderes, als daß der Komet das Haus zertrümmern und sie und die Kinder zerschmettern würde.
»Nein! Nein!«
Natascha Podolskas Schreie gingen im Getöse unter. Doch da - sie wollte ihren Augen nicht trauen! - stoppte der Komet abrupt wenige Meter vor der Hausmauer. Die Podolska glaubte an eine Halluzination, als sie die Konturen eines schnurrbärtigen Gesichts in der glühenden Kometenmasse sah.
Das Gesicht öffnete den Mund, und eine Donnerstimme sprach.
»Natascha Podolska, gib mir die Kinder, sonst hole ich sie!«
»Nein, niemals, Ungeheuer, Teufel, Kapitalist!« Natascha Podolska rief alle Schimpfworte, die ihr einfielen. »Nur über meinen Leichnam! Verschwinde! Wer bist du überhaupt?«
»Die höllische Seele des Stenka Badzak, des grausamen Kosaken-Atamans, der vor dreihundert Jahren hier in Kiew hingerichtet worden ist. Ich will Rache nehmen. Du willst nicht gehorchen, choroscho, gut! Du sollst meine Macht kennenlernen!«
»Töte mich, aber verschone die Kinder!«
Ein dröhnendes Lachen schallte.
»Was soll ich mit dir alter Vettel? Deine Tochter will ich haben, denn sie stammt über ihren Vater direkt von Larissa Czerskaja ab, von der verfluchten Verräterin, sie verdorre und verschmachte! Von dir will ich nichts, du sollst von meinem Schrecken künden!«
»Hilfe! Hilfe! Hilfe!«
Der Satanskomet, der die Ausmaße eines Panzers hatte, hieb gegen die Hausmauer, es krachte, und ein großes Loch entstand. Der Mund des konturenhaften Gesichts klaffte auf, und wie von einem Sog wurden die schreienden Kinder in das schreckliche Loch hineingerissen. Natascha Todolska wollte sich gegen den Kometen werfen, der keine Hitze, aber einen betäubenden Schwefeldunst ausstrahlte.
Da traf sie ein gewaltiger Schlag und wirbelte sie in die Ecke wie ein welkes Blatt Es krachte und dröhnte, ein Gebrüll erscholl, das kilometerweit zu hören war. Dann löste sich der Satanskomet von der Hausmauer, raste mit fürchterlichem Getöse in den Himmel und verschwand in den bauchigen Schneewolken.
In den Häusern der näheren Umgebung war
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