0106 - Hügel der Gehenkten
antwortete der junge Mann.
Saffi sank zurück. »Nein!« hauchte sie. »Nein, das darf nicht wahr sein. Sag, daß es nicht wahr ist, Gulliver. Du willst doch für mich nicht sterben.«
»Ich liebe dich!« Als hätte ein Roboter die Worte gesprochen, so drangen sie über seine Lippen.
Saffi faßte ihn an. Als ihre Hände die seinen berührten, da merkte sie, daß es vergebens war, noch auf ihn einzureden. Er war bereits kalt. Gulliver O’Flynn stand völlig unter dem Bann des geheimnisvollen Schamanen.
Das war ein Schock.
Weinend trat Saffi zurück.
Dir Vater aber sagte: »Es lohnt sich nicht, Tränen um einen zu vergießen, der nicht zu uns gehört.«
»Aber auch ich habe ihn geliebt!« rief Saffi.
»Das kümmert mich nicht. Mit einem muß ich anfangen. Die Gesetze der Hölle schreiben es vor. Ob es nun dieser Kerl ist oder ein anderer, das ist mir egal.«
»Eben, dann hol dir doch einen anderen, aber gib mich frei. Ich werde mit ihm weggehen.«
Die Antwort des Alten war ein Schlag in das Gesicht des Mädchens. Saffi flog zurück bis gegen den Tisch, wo sie sich schmerzhaft das Kreuz stieß und dann zusammensank.
Sie wußte jetzt, daß sie verloren hatte. Ihr Vater war stärker. Dämonen waren immer stärker als Menschen.
Gemeinsam verließen die beiden den hinteren Teil des Wohnwagens. Neben Saffi blieben sie stehen. Der Alte schaute von oben herab auf seine Tochter.
»Öffne uns die Tür!« Saffi hörte nicht. »Soll ich dich bestrafen?«
Da nickte sie und stand auf. Mit zitternden Knien schritt sie auf den Ausgang zu und öffnete. Kalte Nachtluft wehte in den Wagen. Sie fuhr sogar unter den Deckel der Petroleumlampe, von dort aus in den schmalen Glaszylinder und brachte die Flamme zum Flackern.
Ruuf stieß den Studenten die kleine Treppe hinunter. Er selbst blieb auf der untersten Stufe stehen und wandte den Kopf. »Du wirst uns zum Hügel begleiten«, sagte er.
»Nein!«
»Willst du auch sterben?«
»Würdest du mich denn töten?« Die blauen Kristallaugen des Alten schauten das Mädchen an. »Ja, ich würde dich töten!«
Da zerbrach etwas in Saffis Inneren. Bis jetzt hatte sie zu ihrem Vater gehalten, nun war Schluß. Aber sie ließ es sich nicht anmerken, sondern nickte.
»Gut, ich werde euch begleiten.«
»So ist es richtig«, sagte der Alte. »Wenn wir ihn gehenkt haben, hole ich mir die anderen. Alle kommen an die Reihe. Keiner aus dem Dorf wird verschont, denn der Fluch der Vergangenheit muß endlich eingelöst werden.«
Saffi schloß die Tür.
Ihr Vater faßte den Studenten am Arm und dirigierte ihn vor. Sie schritten um den Wagen herum und nahmen den direkten Weg zum Hügel der Gehenkten.
Es war eine unangenehm kühle Nacht. Es roch wieder nach Schnee. Der Nordostwind war unangenehm kalt und drang wie mit beißenden Fingern durch Saffis Kleidung.
Sie fror und schwitzte zugleich. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, doch niemand sah, wie sehr sie weinte. Sie wußte, daß es kein Zurück mehr gab, aber das würde sie ihrem Vater nicht vergessen. Irgendwann zahlte sie ihm diese Tat zurück.
Schon stieg das Gelände an. Sie befanden sich am Beginn des Hügels. Das braungrüne Gras wurde vom Wind gekämmt. An einer ungünstigen Stelle lag noch ein schmutziger Schneerest. Er schimmerte grau.
Dicke Wolken trieben am Himmel. Der Wind blies sie vor sich her und riß manchmal ihre Formation auseinander. Dann lugte der halbe Mond durch die Zwischenräume, und es wurde wieder etwas heller. Sein Licht fiel auch auf den Hügel.
Saffi erschrak, als sie die Kuppe sah. Sie war nicht mehr leer.
Etwas hatte sich verändert, grausam verändert.
Auf der Hügelkuppe stand ein alter Galgen!
***
Der Richtplatz war fertig. Aus dem Nichts war der Galgen aufgetaucht, und Saffi glaubte, Nebelfetzen um ihn herum schwimmen zu sehen.
Sie war entsetzt.
Schon oft hatte sie von dem Gerüst gehört. Ihr Vater erzählte ihr immer davon, doch als sie den Galgen jetzt sah, da rann ihr ein Schauer über den Rücken.
Der Alte aber lachte. »Das ist er!« kicherte Ruuf, »das ist der Galgen. Endlich…« Er stieß seinen Gefangenen an, damit dieser schneller laufen sollte.
Saffi versuchte es noch einmal. Sie faßte nach dem Arm ihres Vaters, wollte ihn zurückhalten.
»Bitte, überlege es dir noch einmal!«
Ruuf blieb stehen. »Nein!« erwiderte er hart.
Da zuckte Saffi zusammen, und sie wußte, daß sie ihren Vater mit Worten nicht umstimmen konnte.
Er war ja kein Mensch, sondern ein Dämon. Und
Weitere Kostenlose Bücher