0109 - Verlies der Angst
Sekunden vor der Bewußtlosigkeit. Ich war ins Leere getreten und gefallen.
Dann der Aufprall und der Schlag gegen den Kopf.
Doch wer hatte geschlagen?
Ich schaute mich ein wenig um. Da gab es mehrere Möglichkeiten, denn ich war in diesem Verlies nicht der einzige.
Um mich herum standen offene Särge aus Baumrinde.
Sieben zählte ich, und jeder Sarg war belegt.
Wikinger lagen darin. Gestalten, wie ich sie sonst nur von alten Zeichnungen her kannte. Zwar war ihre Haut eingefallen und pergamentartig, aber die Waffen, die sie mitbekommen hatten, sahen verdammt gefährlich aus. Sie hatten die lange Zeit wohl am besten überstanden.
Äxte, Keulen, Lanzen und Schwerter.
Ein ganzes Arsenal, das mir Kopfzerbrechen bereitete, denn wenn ich angegriffen wurde, hatte ich keine Chance.
Es war still hier unten.
Ich kam mir wirklich wie in einem großen Grab vor. Kein Laut drang an meine Ohren.
Lebendig begraben! Schon oft war mir dieser Gedanke durch den Kopf gedrungen. Die Decke konnte ich kaum erkennen, sie schwamm in dem grünen Licht.
Die Luft war mehr als mies und kaum zu atmen. Ich sog sie auch nur sehr flach durch die Nase ein, wollte nicht noch mehr verbrauchen, vielleicht würde ich einmal sehr darauf angewiesen sein, wer konnte das wissen?
Es blieb weiterhin ruhig. Die Toten standen nicht aus ihren Gräbern auf, und da meine Schmerzen im Kopf auch ein wenig nachgelassen hatten, konnte ich darangehen, mich um meine Fesseln zu kümmern.
Ich wollte sie loswerden.
Wie schon gesagt, sie waren verdammt stramm zugezogen, und es war mir unmöglich, unter den Stricken wegzurutschen.
Allerdings konnte ich mich etwas drehen, dabei gerieten auch die Stricke in Bewegung und spannten über den Rand der Steinplatte, die verhältnismäßig scharf war.
Darauf baute ich meinen Plan.
Es mußte mir gelingen, die Stricke aufzuscheuern! Eine andere Möglichkeit sah ich wirklich nicht. Ich merkte jedoch, daß man mir die Waffen gelassen hatte. Meine Beretta fehlte ebensowenig wie der Dolch oder das Kreuz.
Nur halfen sie mir nichts.
Ferner fragte ich mich, wer mich so kunstvoll verschnürt hatte.
Die Toten in ihren primitiven Särgen? Oder ein anderer, dieser geheimnisvolle Sadin, von dem immer nur die Rede war, den ich jedoch nie kennengelernt hatte?
Ich glaubte daran, und wenige Sekunden später wurde meine Vermutung bestätigt.
Sadin erschien.
Und er lachte, während er mich in meiner Sprache anredete. »Gib dir keine Mühe, Mensch, die Fesseln wirst du nicht zerstören können. Sie sitzen fest!«
Seinem Kommen und auch seinen Worten entnahm ich, daß er bereits die gesamte Zeit über innerhalb des Verlieses gelauert und mich beobachtet hatte.
Jetzt zeigte er sich offen.
Ich schaute ihn an. Stumm maßen wir uns mit Blicken.
Sadin trug ein zerfetztes, ponchoähnliches Gewand, das er kurzerhand über seinen Kopf gezogen hatte und bis zu den Knien seines ausgemergelten Körpers reichte. Er sah nicht viel anders aus, als die Toten in ihren seltsamen Särgen; auch seine Haut wirkte wie dünnes Pergament. Er trug in der rechten Hand eine Lanze, auf deren Schaft ich zahlreiche Zeichen sah, die in ihrer roten Farbe deutlich vom Grün des Lichts abstachen.
Langsam kam Sadin näher, bis er vor der Steinplatte stehenblieb.
»Es ist dir klar, was dich erwartet, Grabschänder?« fragte er mich.
»Nein!« log ich.
»Du wirst sterben!«
»Nur weil ich in das Grab eingedrungen bin?«
»Ja, Frevler, deshalb. Du hast die heilige Ruhe der Toten gestört, und du bist zu einem Zeitpunkt gekommen, wo der alte Fluch in Erfüllung gehen wird.«
»Welcher Fluch?« hakte ich nach. Ich wollte den Dämon so lange wie möglich aufhalten, damit ich mehr erfuhr.
»Der Kampf wird sich wiederholen«, erklärte er mir. »Wenn unsere Krieger in ihren Särgen erwachen, werden auch die Feinde auferstehen und sich zum letzten Kampf stellen. Die Germanen entsteigen ihren Gräbern, und auf der Lichtung des Waldes wird es zur Entscheidung kommen. Das aber erlebst du nicht mehr, Frevler, denn die Speere der Rache werden dich töten!«
Es waren harte Worte, und mir war bewußt, daß dieser Sadin nicht gelogen hatte.
»Wer bist du?« fragte ich ihn.
»Ich bin Sadin.«
»Das weiß ich inzwischen. Doch welche Aufgabe hast du?«
»Ich bin der Diener des großen Thor. Die Walhalla hat die Seelen der verstorbenen Krieger aufgenommen. Dort haben sie lange Zeit geschmachtet, während ihre Körper tief unter der Erde lagen. Doch diese schlimme Zeit
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