011 - Der grüne Brand
streifte er noch den andern ab.
»Wartet hier«, sagte er zu den Männern, »bis ihr Beale zurückkommen hört, dann verschwindet. Auf dem Weg hinunter laßt ihr den Schuh auf der Treppe liegen. Das wird unsern Freund auf eine falsche Spur bringen.«
Eine halbe Stunde nach der Entdeckung des Schuhs auf der Treppe verließen Beale, Mr. Kitson und der Inspektor das Haus.
Der Doktor schaute den drei Männern vom Fenster seines Wohnzimmers aus nach und ging dann zurück in die Wohnung des Mädchens. Sie lag noch genauso da, wie er sie verlassen hatte. Ihr war schwindlig und übel, und sie blinzelte, als er das Licht anknipste.
»Wie geht es Ihnen nun, mein Kind?« fragte er sie freundlich.
Sie gab keine Antwort.
»Wirklich, Sie dürfen mir nicht böse sein«, sagte er. »Sie werden sich daran gewöhnen müssen, ein wenig höflicher mit mir umzugehen und meine Gesellschaft zu ertragen. Stehen Sie jetzt bitte auf und ziehen Sie Ihren Mantel an.«
Sie sah, daß er ein Glas in der Hand hielt, in dem sich eine weiße Flüssigkeit befand.
»Trinken Sie das«, sagte er.
Sie schob es weg.
»Trinken Sie ruhig! Sie glauben doch nicht, daß ich Sie vergiften will! Ich will sie auch nicht betäuben, sonst hätte ich Ihnen einfach etwas mehr Äther gegeben. Dies ist nur ein Mittel gegen Kopfschmerzen.«
Sie nahm das Glas mit zitternder Hand und trank. Es schmeckte bitter und brannte ihr im Hals, aber die Wirkung war erstaunlich. Nach einigen Minuten fühlte sie sich wohl, und die Kopfschmerzen waren verschwunden.
»Jetzt ziehen Sie Ihren Mantel an, setzen Ihren Hut auf und packen ein paar Kleinigkeiten ein, die Sie für eine Reise brauchen.«
»Das werde ich keinesfalls tun, und ich rate Ihnen, Dr. Harding, mich jetzt allein zu lassen, bevor ich die Polizei benachrichtige.« »Ziehen Sie Hut und Mantel an«, antwortete er ruhig, »und reden Sie keinen Unsinn. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich das alles riskiert habe, um Sie jetzt entwischen zu lassen?«
»Dr. Harding«, sagte sie. »Wenn Sie auch nur eine Spur von Anstand besitzen, dann gehen Sie jetzt!«
Er lachte ein wenig.
»Eine solche Bitte ist wirklich nur Zeitverschwendung, Miss Cresswell«, sagte er, »und ich werde keinen Augenblick zögern, andere Mittel anzuwenden, wenn Sie nicht gutwillig mit mir kommen.«
Seine Stimme war ruhig, aber eindringlich. Sie zweifelte nicht daran, daß er seine Drohung wahrmachen würde.
»Wo werden Sie mich hinbringen?«
»An einen Ort, wo Sie sicher sind. Wenn ich sicher sage«, fügte er hinzu, »so meine ich - für mich sicher. Sie haben nichts zu befürchten, wenn Sie sich nach meinen Anweisungen richten. Ich warne Sie nur davor, auf der Straße um Hilfe zu rufen, denn in diesem Fall könnte ich nicht für Ihr Leben garantieren.«
Sie stand am anderen Ende ihres Bettes und hielt sich daran fest. Ihr Gesicht war weiß geworden.
»Überlegen Sie nicht lange, ziehen Sie sich endlich an!«
Seine Stimme klang jetzt ungeduldig, und sie gehorchte sofort. In wenigen Minuten war sie fertig. Er führte sie hinunter und hielt dabei leicht ihren Arm fest. Auf der Straße wandte er sich scharf nach links, ließ sie aber nicht los. Für den zufälligen Beobachter - aber es waren um diese Zeit in den düsteren, schlecht beleuchteten Gassen, durch die er sie führte, nur noch wenige Passanten unterwegs - hätten sie als Liebespaar gelten können.
In der Nähe von Portland Place wartete ein Auto. Der Doktor öffnete die Tür, schob sie hinein und folgte ihr rasch.
»Wo fahren sie mich hin?« fragte sie.
»In ein sehr schönes Haus im Themsetal«, sagte er. »Früher, als ich glaubte, daß es für mich einfacher wäre, Sie mit Ihrer Einwilligung zu heiraten, habe ich gedacht, daß dieses Haus ein hübscher Ort für Flitterwochen sei.« Er merkte, wie sie vor ihm zurückwich. »Machen Sie sich bitte keine Sorgen; im Grunde bin ich froh, daß die Dinge diese Wendung genommen haben -ich mache mir nicht viel aus Frauen.«
»Was haben Sie denn vor?« fragte sie. »Sie können doch nicht ernstlich glauben, daß Sie Mr. Beale entkommen. Er wird mich finden.«
Er lachte vor sich hin.
»Mr. Beale ist zwar ein ausgezeichneter Detektiv, aber in diesem Fall wird er versagen. Auch die Geschicklichkeit, mit der er eingeschriebene Briefe in die Taschen des armen Mr. White praktizierte, kann ihm hier nicht weiterhelfen«, sagte er höhnisch.
Sie antwortete nicht, aber innerlich kochte sie vor Wut, daß er so geringschätzig von Mr.
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