011 - Sanatorium der Toten
»Vielleicht dachten Sie auch, daß diese Umgebung hier nicht zu meinem
sonstigen Stil paßt, und Sie wurden neugierig. Hm, ist es nicht so?« Sie leerte
bereits das zweite Glas Champagner. Die Flasche neigte sich ihrem Ende zu.
Larry nickte.
»Vielleicht«, sagte er nur, und mehr nicht. Er hatte das Gespräch von Anfang an
so gesteuert, daß es in der richtigen Bahn verlief.
Bei der
zweiten Flasche Champagner wurde sie noch gesprächiger. Sie redete gern. Diese
Schwäche war dem geübten Ohr des Spezialagenten der PSA nicht entgangen. Aber
sie redete keinen Quatsch. Alles, was sie sagte, hatte Hand und Fuß.
»… weißt du,
Chéri«, sagte sie. »Es gibt Situationen, über die man sich selbst wundert,
obwohl man die Hauptperson ist.« Sie lachte. Es war ein sympathisches Lachen. »Du
wirst das vielleicht nicht verstehen. Ich tanze hier zweimal im Monat. Es ist
wie ein ungeschriebenes Gesetz. Ich komme hierhin, tanze, obwohl ich alles
andere als eine Tänzerin bin. Ich habe einen Freund, der mich tanzen sehen
will, und er zahlt für dieses Vergnügen keinen geringen Preis.«
»Wer ist es?«
fragte Larry beiläufig, und seine Stimme klang so, als würde ein wenig
Eifersucht mitschwingen.
»Du fragst
zuviel, Chéri. Bist du von der Polizei?« Sie musterte ihn skeptisch. »Nein, zu
denen gehörst du bestimmt nicht. Die haben dort nicht so gutaussehende,
sympathische Kerle wie dich.« Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Genaugenommen
weiß ich nicht einmal seinen Namen. Er nennt sich nur der Marquis, das ist
alles. Mehr weiß ich auch nicht über ihn. Aber das ist auch nicht so wichtig.
Seine Scheine sind echt, und das ist für mich die Hauptsache.«
Larry wollte
eine dritte Flasche Champagner bestellen, doch diesmal lehnte Yvonne Basac ab.
Sie schlug die Beine übereinander, und das geschlitzte Kleid rutschte so weit
über ihre Schenkel, daß der Ansatz ihres Slips zu sehen war. »Es hat keinen
Sinn, Chéri, ich darf nicht mehr so viel trinken. Ich muß noch einmal
auftreten, nachher, gegen zehn Uhr. Und unsere Party, Chéri, die muß ins Wasser
fallen, es tut mir leid. Hier in Niort hat nur er Rechte auf mich. Ich kann dir
jedoch die Adressen von ein paar Freundinnen geben…«
Larry winkte
ab. »Ich bin an dir interessiert«, antwortete er kurz.
»Vielleicht schlägst
du mir das Geschäft noch einmal in La Rochelle vor. Ab morgen früh neun Uhr bin
ich wieder dort…«
Doch da
täuschte sie sich. Sie ahnte in diesen Sekunden nicht, daß es für sie kein
morgen früh mehr geben sollte, keinen solchen Morgen jedenfalls, wie sie ihn
sich vorstellte…
»Ich muß
gehen«, sagte sie später, und sie schob das halbgefüllte Sektglas zurück. »Mein
Auftritt ist in wenigen Minuten. Vielleicht sehen wir uns nachher noch einmal,
Chéri.«
Sie erhob
sich. Larry mußte sich eingestehen, daß er sein Ziel nicht erreicht hatte, aber
sie hatte doch einige interessante Details erwähnt, die ihn beschäftigten.
Wer mochte
der Geheimnisvolle sein, der sich der Marquis nannte und der Yvonne Basac einen
hohen Preis dafür zahlte, daß sie hier in Niort tanzte? Die Angelegenheit
begann ihn zu interessieren…
Die nächste
Stunde verging wie im Fluge. Die Band spielte vor dem Auftritt einer Farbigen,
deren heißer Striptease gerühmt wurde, noch einmal zum Tanz auf. Larry wiederum
tanzte mit einem der Kätzchen. Das Mädchen lag so in seinen Armen, daß er jede
Bewegung ihres Körpers unter der dünnen schwarzen Kleidung spürte. Auf dem Kopf
trugen die Mädchen zwei lange schwarze Ohren, und über dem wohlgeformten Gesäß
war ein langer, wippender Katzenschwanz eingenäht, mit dem man, wenn das
Gedränge auf der Tanzfläche zu stark werden sollte, den Nachbarn einfach
beiseite zog.
Larry blickte
sich um. Irgendwo in diesem Halbdunkel, an einem der Tische, saß jetzt ein
Mann, der nur Augen für Yvonne Basac hatte. Wer war es? Larry kannte ihn nicht.
Er war erstaunt, daß ihn dieser rätselhafte Marquis immer mehr beschäftigte…
Nach dem
Auftritt verschwanden die Tänzerinnen durch den Seiteneingang.
Auch Larry
erhob sich. Er schlenderte durch die Bar. Zwei oder drei Tische waren unbesetzt.
Der Großteil des Publikums würde bis in die frühen Morgenstunden bleiben. Das
Chatte Noire machte erst im Morgengrauen zu…
Durch den
Seitenausgang gelangte man zu den Toiletten.
Der Korridor
war schmal und trostlos. Vom dort aus führte eine dunkelbraune Holztür in einen
öden, mit einer Ziegelsteinmauer umgebenen
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