011 - Sanatorium der Toten
wirkte auf sie wie ein Schock.
Sie sah für
den Bruchteil einer Sekunde die dunkle, hochgewachsene Gestalt, direkt unter
dem Licht der blakenden Fackel. Der Mann, der sich selbst in diesem Augenblick
als Marquis de Noir bezeichnet hatte. Der Schwarze Marquis. Und der Name paßte
zu ihm. Er trug ein schwarzes Cape, einen schwarzen, breitkrempigen Hut, wie er
zur Zeit der Revolution modisch gewesen war. In der Rechten hielt er einen
langen Degen.
Da war sie
auch schon vorüber.
Die beiden
Gestalten zerrten sie durch dunkle Gänge. Einmal ging es eine Treppe hinab, und
sie erreichten einen mit Säulen und Gewölbebogen versehenen Saal, in dem
zahllose Fackeln brannten.
Sie sah die
Folterinstrumente, die Streckbänke und die Guillotine, die inmitten des Raumes
stand, wie ein starrendes, riesiges Ungeheuer aus einer anderen Welt.
Yvonne Basac
wimmerte. Sie war zu keiner Bewegung mehr fähig. Sie fühlte sich matt und
kraftlos, Hitze- und Kälteschauer strömten durch ihren Körper, und die
Gegenstände verbargen sich vor ihren Augen wie unter der Wellenbewegung einer
Wasserfläche.
Sie bemerkte
kaum mehr, daß sie an einer Kette angebunden wurde, die oben an der gewölbten
Decke befestigt war. Die beiden Kapuzenmänner schleppten wenig später den Mann,
der sich Roger nannte, in die Folterkammer.
Sie
schleiften ihn über den harten, kalten Boden, legten ihn unter die Guillotine,
neben der – wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt – plötzlich der Marquis
de Noir stand.
Yvonne
stöhnte, schluchzte und wimmerte. Sie begriff und fühlte nichts mehr. Der
Marquis. Welche Rolle spielte der Geheimnisvolle, der sie stets in Niort tanzen
sehen wollte? Wer war er wirklich?
Und dann
donnerte die Stimme durch die Gewölbe, kalt und unpersönlich, die Stimme eines
Besessenen, der davon überzeugt war, eine Mission zu erfüllen.
Sie hörte
diese Stimme, und sie öffnete weit die Augen, um den Nebel zu vertreiben und
die Gestalt besser zu erkennen, die hochaufgerichtet neben der Guillotine
stand.
Sie sah das
Gesicht nicht richtig. Der breitkrempige Hut verdeckte es. Die Hände steckten
in langen, schwarzen Handschuhen. Ein Mann, ganz in Schwarz. Auch der Marquis
ist immer ganz in Schwarz gekommen, durchzuckte es sie. Doch die Stimme war
anders, ganz anders, so kalt, so unheimlich, so grauenvoll.
»Sieh dir das
an!« Diese Worte galten ihr. »Ich liebe es, wenn man weiß, was denjenigen
erwartet, der sich meine Gunst verspielt hat. Du bist jung und schön, ich liebe
solche Mädchen. Auch dich habe ich geliebt. Doch nun mußt du sterben. Sieh dir
an, wie du sterben wirst.«
Sie wandte
den Kopf auf die Seite, sie wollte nicht sehen, was geschehen würde. Doch da
zischte eine Peitsche durch die Luft. Die winzigen Widerhaken aus Stahl an den
Lederriemen bohrten sich in ihr Fleisch, rissen darüber hinweg wie die Pranke
eines Raubtieres.
Bohrender
Schmerz raste durch ihre Eingeweide, setzte sich bis in die äußersten Winkel
ihres Gehirns fort.
»Sieh es dir
an. Oder willst du die Peitsche noch einmal spüren?«
Wie unter
einem hypnotischen Zwang drehte sie den Kopf zur Seite. »Was habe ich getan?
Ich bin mir
keiner Schuld bewußt! Warum… warum…?«
»Du hast dir
meine Gunst verspielt.« Es klang wie ein Todesurteil – gnadenlos und endgültig.
Sie sah die Guillotine, die langsam auf sie zuzurücken schien, füllte ihr
ganzes Blickfeld aus. Sie begriff, daß dies hier alles andere als ein Traum
war, ohne es im eigentlichen Sinne zu verstehen. Und mit dem Begreifen kamen
die Furcht und das Entsetzen.
Sie sah
Roger, sein angsterfülltes, verzerrtes Gesicht. Und dann raste das Fallbeil in
die Tiefe.
Yvonne schrie
und schloß die Augen.
Ein
höhnisches Lachen hallte durch das Gewölbe, bohrte sich schmerzhaft in ihr
Bewußtsein.
Sie fühlte
eine Bewegung vor sich.
»Nein!«
schrie sie. Und immer wieder: »Nein!«
Da zischte
die Peitsche durch die Luft, krachte über ihren Hüften auf die nackte Haut.
Gepeinigt öffnete sie die zitternden Augenlider.
Alles in ihr
sträubte sich.
Das Gesicht
von Roger hing unmittelbar vor ihr, und die gebrochenen Augen starrten sie an.
Sie schrie so
sehr, daß sich ihr ganzer Körper unter diesem Aufschrei spannte.
Und dann warf
sie ihren Körper in die Höhe…
…
schweißgebadet richtete sie sich auf.
Der Diwan,
ihr Zimmer im Chatte Noire. Sie glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können.
Ihre Lippen
bebten, sie fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung über die
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