011 - Sanatorium der Toten
getäfelt. Alles wirkte sehr kostbar und vornehm. Der
Empfangsraum, in den sie zuerst kamen, erinnerte Larry an ein Jagdmuseum. Alte
Waffen, angefangen vom Hirschfänger über das Jagdmesser bis hin zum alten
Jagdgewehr, wurden als Raumschmuck verwendet. Die Hirschfänger und Jagdmesser
waren ausschließlich mit schweren Horngriffen versehen, und Larry mußte sofort
an die Mordwaffe denken, mit der Madame Marleaux getötet worden war.
Fernand
Gourmon führte ihn in das Arbeitszimmer seiner Tochter, und Larry hatte einen
Einblick in die letzten Arbeiten der jungen Dichterin. Bei einer Flasche
Rotwein in der Bibliothek beantwortete Fernand Gourmon alle Fragen, die sein
Besucher an ihn richtete.
Larry wollte
alles wissen. Zwei Fälle von Irrsinn ereigneten sich nicht jeden Tag, nicht
unter diesen Umständen. Der Theateragent schilderte alle Details, die er aus
dem Gespräch mit seiner kranken Tochter hatte entnehmen können.
»Die ganze
Angelegenheit ist mir ein Rätsel«, schloß er.
»Ich bin
gekommen, um dieses Rätsel zu lösen. Ich will Ihnen helfen. Ich glaube nämlich
ebenso wie Sie, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.«
Fernand
Gourmon schluckte, als er Larry Brent reden hörte. »Im Grunde genommen weiß ich
nichts über Sie, Monsieur Brent. Ich weiß nicht einmal, ob der Name stimmt, mit
dem Sie sich vorgestellt haben. Und doch habe ich Vertrauen zu Ihnen. Die
Tatsache, daß der Polizeichef von Niort persönlich Ihren Besuch angekündigt
hat, spricht dafür. Es gibt da eine Sache, die ich Ihnen vielleicht sagen
sollte…« Er drehte das halbgefüllte Rotweinglas zwischen den schmalen Fingern.
»Sprechen
Sie. Ich muß mir ein vollständiges Bild machen können.«
Fernand
Gourmon erhob sich. Er ging ruhelos auf und ab. »Als mir meine Tochter die
Sache mit dem Sarg erzählte, da hörte sich das alles wie eine Halluzination an.
Doch dann habe ich ihr Zimmer durchsucht, und…«
»Und?«
»Die Kerze.
Sie sprach auch von einer Kerze. Ich habe den Boden abgesucht, und das hier
gefunden.« Mit diesen Worten öffnete er die oberste Schublade an dem
Barock-Schreibtisch, nahm eine Kassette heraus und schloß sie auf. »Wir haben
im ganzen Haus weiße und rote Kerzen. Aber eine Kerze, deren Wachs einen
dunkelgrau schimmernden Rest hinterläßt, gibt es hier nirgends.«
Larry
betrachtete das Wachsplättchen, das Fernand Gourmon vom Teppich im Zimmer
seiner Tochter gelöst hatte.
»Seltsame
Dinge gehen hier vor, Monsieur Gourmon«, sagte Larry mit belegter Stimme.
»Ein Mensch
kann seinen Verstand verlieren, wenn man ihn einem Schock oder einem
unheimlichen Geschehen aussetzt, das sein Gehirn nicht verkraften kann. Ihre
Tochter hatte keine Halluzination, ebensowenig wie Yvonne Basac…«
●
Sein Gesicht
war ernst und verschlossen, als er aus dem Mercedes stieg.
Das Hotel La
Fouchet war hell erleuchtet. Es war acht Uhr abends. Larry hatte das Gefühl, in
einem Karussell zu sitzen, dessen Fahrt immer rasender wurde. Er kam nicht mehr
zur Besinnung. An diesem Tag war zu viel auf ihn eingestürmt, und er versuchte
verzweifelt, die Dinge in den rechten Zusammenhang zu bringen.
Da waren die
beiden verrückt gewordenen Mädchen, da waren das Gespräch mit Fernand Gourmon,
und das Geschwätz der alten Louise.
Yvonne Basac
hatte von ihrem Marquis geredet, und auch die alte Louise hatte etwas von einem
gewissen Marquis de Noir zu erzählen gewußt. Seltsam, daß er hier eine
Beziehung suchte. Doch in dem Fall, mit dem er sich beschäftigte, spielten
hübsche Mädchen eine Hauptrolle, deren Spuren hier in Niort endeten,
Bürgerstöchter, die auf rätselhafte Weise verschwanden oder wahnsinnig wurden…
Die Chronik bewies, daß es in dieser Gegend schon in vergangenen Jahrhunderten
zu einer Anhäufung von Fällen gekommen war, bei denen junge Mädchen entführt
wurden oder spurlos verschwanden. Die offiziellen Berichte besagten, daß es mit
dem gefährlichen Moor- und Sumpfgebiet Poitevin zusammenhing, doch der
Volksmund wußte es anders. Die Legende von dem unheilvollen Marquis de Noir,
der um die Wende des l8.Jahrhunderts sein Unwesen trieb, erhielt neuen
Auftrieb.
Larry war
nicht bereit, unbedingt alles in Grund und Boden zu stampfen, was die alte
Louise über den rätselhaften Marquis erzählt hatte. Als Angehöriger der PSA war
er gewohnt, in anderen Bahnen zu denken, vom Konventionellen weit abzugehen. Es
gab ein ungeschriebenes Gesetz für alle X-RAY-Agenten: Nichts ist unmöglich.
Erst
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