011 - Sanatorium der Toten
Beisammensein.«
»Es geht weiter,
Larry. Das Pärchen, Roger Pelier und Isabell Labrede, hat man von ihnen
inzwischen etwas Neues gehört?«
»Nichts. Sie
haben sich nicht aus Coulon gemeldet. Sie sind wie vom Erdboden verschwunden.«
Morna
Ulbrandson nickte bedächtig, als hätte sie genau diese Antwort erwartet. »Eine
weitere Computerauswertung besagt, daß, wenn man die Zeit der Abfahrt von Roger
und Isabell aus Niort in Betracht zieht, sie bei Einbruch eines Unwetters in
der Nähe des Hauses am Fluß gewesen sein müssen. Die Dinge werden immer
verworrener, Larry…«
●
In den Gängen
war es angenehm kühl. Draußen brannte die Sonne erbarmungslos vom Himmel, aber
hier in den vollklimatisierten Räumen merkte man nichts mehr davon.
Eine
Schwester und ein Arzt begleiteten Morna Ulbrandson. Die hübsche Agentin, die
als Journalistin sicher und gewandt auftrat, machte sich eifrig Notizen. Sie
stellte geschickte Fragen, und Dr. Bourche, ein sehr junger Arzt, gab
bereitwillig Antwort.
»Damit wäre
der offizielle Teil erledigt«, sagte sie lächelnd, während sie ihr Notizbuch in
die Tasche zurücksteckte. Sie hatte die Krankenzimmer gesehen. Die Räume waren
hell und freundlich, und nirgends standen mehr als drei Betten. Man hatte Morna
Ulbrandson die Möglichkeit gegeben, sich zunächst einmal mit dem Aufbau der
Klinik vertraut zu machen.
Dann waren
ihr einige leichte Fälle vorgestellt worden, Psychopathen und Hypochonder.
Auch einen
Patienten, der an Schizophrenie litt, hatte sie kennengelernt. Dr. Bourche
hatte ihr erklärt, daß dieser Kranke überzeugt davon sei, ein direkter
Nachkomme Buddhas zu sein. Er saß den ganzen Tag wie ein indischer Yogi im
Schneidersitz in seinem Zimmer, hielt innere Einkehr, betete und fastete. Er
ließ tagelang Speise und Trank unberührt, dann wieder, wenn sein wirkliches Ich
an die Oberfläche seines Bewußtseins drang, stürzte er sich mit einem wahren
Heißhunger auf die Speisen. Er vergaß dann vollkommen, daß er eigentlich
Buddhas Sohn war oder manchmal auch eine Inkarnation Buddhas selbst. Er wußte
das oft selbst nicht so genau.
Die junge
Agentin überprüfte die Einstellung einer Miniaturkamera, mit der sie bereits
einige Aufnahmen geschossen hatte. Morna wollte damit noch einige Bilder und
Skulpturen fotografieren, die von Geisteskranken gemalt und angefertigt worden
waren. Sie hatte gehört, daß es einen speziellen Ausstellungsraum dafür gab.
Der Professor legte größten Wert darauf, daß sich seine Patienten in
irgendeiner Form künstlerisch betätigten. Er hob jeden Fetzen Papier, auf den
etwas gezeichnet oder geschrieben war, auf. So versuchte er, die Äußerungen der
Geistesgestörten zu deuten, er wollte über die Bilder Eingang in die Psyche des
Zeichners finden.
Morna
Ulbrandson sah wenig später diesen Ausstellungsraum. Es waren Gemälde darunter,
die sie faszinierten und erschreckten – teilweise von einer ungewöhnlichen
Farbstärke, die in den Augen schmerzte. Unter den Bildern waren kleine
Messingschildchen angebracht, die im Telegrammstil Name und
Krankheitsgeschichte des Patienten mitteilten.
Morna
Ulbrandson blieb vor einem schmalen Gemälde stehen.
Die Mitte des
Bildes nahm ein kleiner, in sich zusammengekauerter, unbekleideter Mensch ein,
der abwehrend zwei riesige Hände von sich streckte, die man ihm, ebenso wie die
Füße, mit Ketten gefesselt hatte. Der Kopf war dreimal so groß wie der Körper,
zur Unkenntlichkeit zerquetscht und zerstückelt, und aus dem Wust von Farben
und Formen, die das Gehirn darstellen sollten, bildeten sich gierige Hände,
grauenvolle Gesichter und Fratzen, große Augen, ein verzerrter Mund.
»Dies ist
eines der typischen Bilder für ein Krankheitssymbol, das wir Angstneurose
nennen«, erklärte Dr. Bourche, der Morna Ulbrandson begleitete. Niemand außer
ihnen hielt sich in diesen Minuten in dem großen Ausstellungsraum auf.
»Was ist das
eigentlich: Angst?« wollte die junge Schwedin wissen. »Wie kommt es zu diesem
Gefühl, Doktor?«
»Angst kann
durch wirkliche Gefahr hervorgerufen werden«, erklärte Dr. Bourche. Man merkte
ihm an, daß er sich neben der hübschen Begleiterin offensichtlich wohl fühlte. »Aber
es gibt auch ein Angstgefühl, das entsteht, wenn eine solche Gefahr gar nicht
vorhanden ist.
Sie wird dann
ohne Grund vergrößert, die Neurose entsteht.«
»Eine Form
des Wahnsinns«, bemerkte Morna. »Wahnsinn, der auch zustande kommen kann, wenn
man einen Menschen einer
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