0110 - Wer andern eine Grube gräbt
Handschellen anzulegen. Mit meinem Jaguar fuhren wir zum Schauhaus. Im Keller herrschte die übliche Kälte. Rechts und links waren die weißen, ovalen Türen, die an einen großen Badeofen erinnerten. Nur die übliche Hitze einer Backstube fehlte.
Der Angestellte öffnete auf mein Flüstern hin eine der Schraubtüren, zog sie auf und rollte eine Bahre heraus, er schlug das weiße Gummilaken zurück, das über den Leichnam gedeckt war.
Tom Garrison stand, als hätte ihn der Schlag gerührt. Seine Augen weiteten sich entsetzt, sein Mund öffnete sich, aber es kam nur ein heiseres Krächzen heraus.
Wir sagten kein Wort. Ungefähr zehn Minuten blieben wir schweigend stehen. In der ganzen Zeit stand Garrison an der Bahre seines Vaters, ohne sich zu bewegen.
Dann zog ich ihn leise an der Schulter mit. Ohne einen Laut von sich zu geben, folgte er uns.
Draußen auf der Freitreppe vor dem Schauhaus blieb ich noch einmal stehen.
»Sie haben keine Ahnung, wer Ihren Vater erschossen haben könnte?«
Er hatte die Lippen fest aufeinandergepreßt. Unten auf der Straße hupten die Autos. Eine Fliege schwirrte um uns herum.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich wreiß es nicht, G-man. Glauben Sie’s mir! Wenn ich je in meinem Leben die Wahrheit gesagt habe, dann war es jetzt. Ich weiß es nicht.«
Er machte eine Pause, dann bat er:
»Haben Sie eine Zigarette?«
Ich gab ihm eine und Feuer. Er machte die ersten Züge, dann sagte er:
»Brauchen Sie mich noch?«
Well, wir hatten keinerlei Handhabe, ihn festzuhalten. Wir hätten ihm nichts, aber auch gar nichts beweisen können. Abgesehen davon, daß ich ihn auch nicht mehr für den Mörder hielt, wenn ich ihn je in Betracht gezogen hatte.
»No, aber…«
Er tippte mit dem Zeigefinger an die Krempe seines Hutes.
»Okay, G-man. Vielleicht komme ich eines Tages in Ihr Office. Da können wir uns noch mal unterhalten. Jetzt — jetzt geht’s wirklich nicht…«
Bevor wir etwas erwidern konnten, war er die Stufen hinabgeeilt und huschte schnell und gewandt zwischen den Autos hindurch auf die andere Straßenseite. Bald darauf hatten wir ihn aus den Augen verloren…
***
Ein paar Tage waren vergangen, ohne daß wir recht vorankamen. Wir hatten festgestellt, daß der alte Garrison eine Art Speiselokal betrieben hatte. Seine beiden Negerköche waren recht traurig, als sie hörten, daß man ihn ermordet hatte. Ich glaube, es waren neben seinem Sohn die einzigen Menschen, die wirkliche Trauer über seinen Tod empfanden.
Ich weiß nicht mehr genau, wieviel Tage seit dem Tode des Alten vergangen waren, als ich morgens beim Frühstücken die Tribune aufschlug. Gewohnheitsmäßig blättere ich die Zeitungen durch, während ich frühstücke. Ich weiß, man soll es nicht, aber wenn man mit sich allein ist, wird das Frühstück eine trostlose und langweilige Angelegenheit.
Die Schlagzeile sprang mir förmlich in die Augen:
Er kassierte zwölftausend Dollar und starb! Geheimnisvoller Mord vor dem Hauptquartier der Stadtpolizei. (Eig. Ber.)
Gestern nachmittag erlebten die Beamten in der Fahndungsabteilung der Stadtpolizei eine Überraschung. Gegen vier Uhr erschien ein Mann bei ihnen, der seinen Namen nicht nennen, aber eine wertvolle Information geben wollte. Er wisse, wo sich Robert Taylor versteckt halte.
Robert Taylor wurde im Zusammenhang mit den Harlem-Morden, über die wir ausführlich berichteten, seit einigen Monaten vergeblich gesucht. Selbst eine Erhöhung der auf ihn ausgesetzten Belohnung auf zwölftausend Dollar brachte zunächst nicht das gewünschte Resultat.
Bis dann gestern der geheimnisvolle Mann in der Fahndungsabteilung der Stadtpolizei erschien. Zunächst erkundigte er sich, ob es Tatsache sei, daß auf Taylors Ergreifung zwölftausend Dollar Belohnung ausgesetzt seien. Als man ihm dies bestätigte, wollte er wissen, wie es mit der Auszahlung der Summe stehe. Erst als man ihm deutlich zu verstehen gegeben hatte, daß jeder Staatsbürger, bei dem es nicht zu den Berufspflichten gehört, Verbrecher zu verfolgen, diese Belohnung erhalten könne, wenn er der Polizei nur den Tatsachen entsprechende Angaben über den Aufenthaltsort des Gesuchten mache, wurde er redseliger. Er beschrieb den erstaunten Beamten bis in die Kleinigkeiten hinein einen Ausschnitt aus dem Hafengelände am Hudson. In einem Getreidesilo sollte sich Taylor seit Wochen versteckt halten. Die Nahrungsmittel würden ihm von zwei Freunden aus den Kreisen der Unterwelt gebracht.
Die Stadtpolizei sandte
Weitere Kostenlose Bücher