0112 - Acht Minuten nach Mitternacht
Gaby saß in der hintersten Ecke bei einer Tasse Schokolade und einem Likör. Sie begrüßte mich, wie mir schien, aufatmend.
»Sam weiß natürlich nicht, dass ich hier bin«, sagte sie, und als ich nur nickte, fuhr sie fort: »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich kenne ihn nun schon seit einem Jahr und ich habe mich restlos in ihn verliebt… Wir wollten heiraten, aber ich fange an zu zweifeln.«
»Ja«, antwortete ich und sonst nicht.
»Er macht Geschäfte. Die, die ich kenne, sind nicht immer hundertprozentig korrekt, aber es sind auch keine Gaunersachen. Es gibt kein Gesetz, das sie verbietet. Ich fürchte jedoch, er steckt irgendwo fest. Er hat mir versprochen, die anderen, die Sie ja kennen, abzuschütteln. Wir wollten wegfahren, ganz weit weg und heiraten. Ich glaube, dass er Geld auf der Bank hat. Aber es würde mich nicht stören, wenn es nicht so wäre. Er ist nicht dumm und ich auch nicht. Wir würden schon durchkommen, aber er kommt nicht los. Ich weiß nicht, warum. Er verspricht und verspricht, und ich glaube, dass er sich Sorgen macht. Können Sie mir einen Rat geben?«
»Nicht, ohne zu wissen, um was es geht. Denn alles, was Sie mir da sagen, ist zu vage.«
»Was tun Sie eigentlich? Von was leben Sie?«, fragte sie plötzlich.
»Geschäfte«, murmelte sie. »Immer wieder Geschäfte. Sie wissen nicht, wie mich dieses Wort anekelt. Sind Sie vielleicht ein Konkurrent dieser Leute, mit denen Sam sich eingelassen hat?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ganz bestimmt nicht«, sagte ich. »Darüber können Sie beruhigt sein. Mit Öl und dergleichen habe ich nichts zu tun.«
»Dann möchte ich wirklich wissen, warum Kantor Sie so hasst, und er hasst Sie, dessen bin ich sicher.«
Ich zuckte mit den Schultern. Es war mir herzlich gleichgültig, ob dieser Gangster mich hasste oder nicht.
»Kann ich Ihnen wirklich vertrauen?«, fragte sie eindringlich. »Würden Sie mir wirklich helfen, wenn ich Sie darum bitte?«
»Natürlich werde ich das«, behauptete ich im Brustton der Überzeugung. Es tat mir leid, das nette Mädel täuschen zu müssen, aber ich hatte keine Wahl. Es ging um die Aufklärung dreier Morde.
Ich dachte daran, wie sehr sie erschrocken war, als ich den Namen Masters fallen ließ. Ich war versucht, sie nach dem Grund zu fragen, aber ich unterließ es. Vielleicht würde ich das später noch tun.
»Um zwölf Uhr hat Sam eine Verabredung im RITZ TOWER HOTEL, wie schon des Öfteren. Ich habe die beiden Leute schon gesehen, und ich mag sie nicht. Jedesmal wenn Sam bei ihnen war, ist er gedrückt und übellaunig, aber er will mir nicht sagen, wer sie sind. Ich möchte gerne, dass Sie sich die Leute ansehen. Vielleicht irre ich mich.«
»Ich will Ihnen diesen Gefallen gern tun«, meinte ich. »Was aber, wenn Willets Sie sieht? Sie würden nur Unannehmlichkeiten haben. Wie wollen Sie ihm erklären, dass Sie ausgerechnet mit mir dorthin kommen?«
»Dort drüben hängt ein neuer Staubmantel, den er nicht kennt, ebensowenig wie das Hütchen, das ich trage und dessen Schleier ich herunterlassen kann. Außerdem können wir uns so setzen, dass er uns nicht bemerkt.«
Es war ein gefährliches Experiment, aber ich war viel zu neugierig, als das ich hätte nein sagen können. Ich hatte das Gefühl, sie wisse viel mehr, als sie sagte, und wollte nicht mit der Sprache heraus. Während wir noch bis kurz vor zwölf sitzen blieben, versuchte ich sie auszuholen, hatte aber nicht den geringsten Erfolg.
»Wahrscheinlich sind sie in der Cocktail Lounge«, sagte sie mit unterdrückter Stimme, als wir durch die Schwingtür in die Halle traten. »Lassen Sie mich vorausgehen.«
Ich wartete ein paar Minuten am Zeitungsstand, kaufte ein Sonntagsblatt und beschäftigte mich damit, bis sie zurückkam. Dann saßen wir in der Lounge seitlich der Bar, wo wir bestimmt nicht auffielen. Zum Glück war es ziemlich besetzt. Am Nebentisch saß eine Gesellschaft von Engländern, die mit umgehängten Fotoapparaten und roten Baedekern bewaffnet New York »unsicher« machen wollten. Nur zwei Tische weiter saß Sam Willets. Er drehte mir den Rücken zu, aber seinen beiden Tischgenossen konnte ich gerade ins Gesicht sehen. Diese beiden sahen absolut nicht aus, als ob sie Gangster seien. Gaby schien sich da etwas einzureden. Es waren zwei Herren in, wie man sagt, bestem Alter, so zwischen fünfzig und fünfundfünfzig. Der eine hatte ein glattrasiertes Mondgesicht und peinlich genau gescheiteltes, offenbar schwarzgefärbtes
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