0113 - Schwarzer Tee aus Hongkong
größten und eigenartigsten Stadt der Erde.
Plötzlich pochte es an ihre Tür.
Sie drehte sich um, schaltete das Licht ein und öffnete.
Für einen einzigen Sekundenbruchteil zogen sich ihre Augen erschrocken zusammen. Aber ihr ruhiges Gesicht blieb beherrscht wie immer.
Fen Sa Chu stand draußen. Und neben ihm zwei von seinen Leibwächtern, zwei dieser brutalen Schläger.
Wortlos trat er über die Schwelle und winkte den beiden, ihm nachzukommen.
Li Yu Tang wich bis ans Fenster zurück.
»Wo ist deine Handtasche?« fragte er. Sie zeigte auf den kleinen Tisch:
»Da liegt sie doch!«
Der Chinese griff nach ihr, riß die Tasche an sich und kippte den Inhalt auf den Tisch.
Eine Weile wühlte er in den Gegenständen, die eine moderne Frau bei sich zu tragen pflegt. Dann wandte er sich mit zornverzerrtem Gesicht ihr zu:
»Wo ist der Brief?« schrie er. »Welcher Brief?«
Er trat ein paar Schritte auf sie zu. »Den du zur Post bringen solltest!« Sie zuckte die Achseln und sagte leichthin:
»Ich habe zwei Briefe zur Post gebracht!«
»Ja!« zischte er wütend. »Aber du hast nur einen in den Briefkasten geworfen!«
Li Yu Tang erkannte mit einem Blick die Situation. Sie war sich sofort darüber im klaren, daß ihre abgeschüttelten Verfolgen sie kurzerhand beim Postamt erwartet haben mußten.
Gelassen setzte sie sich in ihren Sessel und zündete sich eine Zigarette an.
»Oh, Fen Sa Chu«, sagte sie mit ihrem kokettesten Lächeln, »manchmal hast du den Kopf eines Greises, dem sich schon der Verstand trübt.«
»Spotte nicht!« schrie der Chinese wütend. »Wo ist der andere Brief?«
»Welcher andere?«
»Den du nicht aufgegeben hast!«
Li Yu Tang schüttelte den Kopf und korrigierte geduldig:
»Ich habe beide Briefe aufgegeben, mein Lieber.«
»Lüg’ nicht! Meine Leute haben dich beobachtet! Du warst erst in einem Kaffee. Und danach hast du nur einen Brief aufgegeben! Meine Leute haben mir alles erzählt!«
Er zittert vor Wut.
Um so gelassener gab sich Li Yu Tang. »Haben sie dir auch erzählt«, fragte sie höhnisch, »daß ich diese Trottel in einem Warenhaus abgehängt habe? Daß sie dort nach langem Suchen wie die Verrückten zum Postamt gelaufen sind, um mich dort abzufangen? Haben sie dir das auch erzählt, Fen Sa Chu?«
Sie sah seinem ärgerlichen Gesichtsausdruck an, daß es natürlich nicht erzählt worden war.
»Selbstverständlich weiß ich das«, brummte er nicht sehr überzeugend.
Li Yu Tang ließ ihr perlendes Lachen hören.
»Du bist ein ebenso ungeschickter Lügner, wie ich es hin!« rief sie ihm scherzend zu. »Die Trottel haben es natürlich nicht erzählt. Sie wagen es ja gar nicht, deinen Zorn heraufzubeschwören.«
Wie dumm, dachte sie dabei, daß Männer immer wieder auf Schmeicheleien hereinfallen. Und laut fuhr sie fort:
»Ich ging in die Post und wollte die Briefmarken kaufen. Aber vor jedem Schalter stand eine lange Schlange. Da habe ich mein Kleingeld zusammengesucht und ein paar Marken aus dem Automat gezogen. Leider hatte ich nicht genug Kleingeld. Es reichte nur für die Marken nach Hongkong. An eine der Schlangen anstellen wollte ich nicht, also suchte ich ein kleines Café auf. Dort trank ich eine Tassee Kaffee, aß ein Stück Kuchen und ließ mir auch gleich eine Briefmarke geben. Danach brachte ich noch den letzten Brief zum Kasten und kam zurück. So war das, und wenn deine dummen Burschen mich nicht verloren hätten, wenn sie deshalb nicht zu spät zum Postamt gekommen wären, hätten sie es genauso gesehen, wie ich es dir gerade erzählt habe!«
Zum Schluß hatte sie scharf und beleidigt gesprochen.
Fen Sa Chu entnahm dieser durchaus plausiblen Begründung, was er ohnehin ganzen Herzens erhofft hatte: daß nämlich »seine« Li Yu Tang zuverlässig sei. Nur zu gern glaubte er ihr. Obendrein wußte er ja von früheren Gelegenheiten, daß sie schon ein paarmal die ihr nachgeschickten Spione geschickt abgehängt hatte. Warum sollte es diesmal anders gewesen sein?
»Dem Sohn des Himmels sei Dank!« schnaufte der Chinese. »Ich wußte nämlich gleich, wie es gewesen sein mußte, ich hatte mir jedenfalls so etwas Ähnliches gedacht. Ich wollte dich nur auf die Probe stellen.«
»Natürlich hast du es gewußt«, sagte sie völlig ernsthaft zu dem eitlen Kerl, der von Herzen erleichtert vor ihr stand. »So gescheit bist du immerhin, daß du mich nicht bei dir behalten würdest, wenn ich eine Verräterin wäre. Du weiß aber selbst am besten, daß ich keine
Weitere Kostenlose Bücher