0116 - König der Vampire
es klingelte. Kurz meldete sie sich mit der stereotypen Formulierung und wirkte dabei ganz wie die seit Jahrzehnten fest im Sattel sitzende Chefsekretärin, die sich in der Betriebsleitung nur noch zuweilen von ihrem Chef vertreten läßt.
»Polizeistation Roanne«, quäkte es aus der Muschel. »Oberkommissar Gerionnes. Es geht um Folgendes…« Und dann erklärte Gerionnes den Zweck seines Anrufes. Erzählte von dem Verkehrsunfall mit dem unbekannten, dicken Toten, der in seiner Brieftasche einen Umschlag mit der Aufschrift »Ogo Krul« und Zamorras Telefonnummer besessen hatte.
»Unter dem Namen Ogo Krul hat sich ein Parapsychologe in Begleitung einiger Assistenten für den morgigen Tag bei uns angesagt«, berichtete Nicole. Sie krauste ihre hübsche Stirn. Sollte dieser Krul der Tote sein?
»Kennen Sie den Mann? Könnten Sie ihn identifizieren?« fragte der Oberkommissar an.
»Leider nicht«, beschied sie ihm. »Monsieur Krul ist uns selbst unbekannt, seine Besuchsankündigung kam für uns recht überraschend.« Sie zögerte einen Augenblick. »Ich werde den Professor informieren und rufe dann zurück. Wenn Sie mir Ihre Nummer geben könnten…«
Sie schrieb mit. Dann knackte es in der Leitung. Nicole lehnte sich zurück und dachte nach.
Etwas stimmte an der Sache nicht. Wenn dieser Mann tatsächlich der Parapsychologe Ogo Krul war, so führte er doch mit absoluter Sicherheit irgendwelche Ausweise mit sich - wie es eigentlich jeder Bürger tun sollte. Und andererseits - wenn es sich um irgendeinen Landstreicher oder sonstig unbekannten Menschen handelte, wie kam er dann erstens an den recht eigentümlichen und darüber hinaus höchst seltsamen Namen Ogo Krul, und was noch schwerer wog, wie an die Rufnummer von Château Montagne, die bei weitem nicht so bekannt war wie die der Feuerwehr?
Da war etwas faul. Nicole spürte sekundenlang den kalten Hauch einer unermeßlichen Gefahr, die Warnung, die ihr Unterbewußtsein ihr zukommen ließ. Doch dann verflog diese Ahnung wieder, und der Fall sank herab zu einer ganz normalen rätselhaften Angelegenheit.
Nicole drehte sich mit dem Stuhl um zwanzig Grad nach rechts, streckte den Arm aus und drückte auf die Taste der Sprechanlage. »Chef - wo steckst du gerade?«
Zamorra meldete sich nicht. Dafür Raffael Bois, die gute Seele des Hauses, ohne den Château Montagne völlig undenkbar war, der stillschweigend Haus und Garten in Ordnung hielt, immer im Hintergrund blieb und alles regelte, mit dem sich weder Zamorra noch Nicole zeitmäßig befassen konnten.
»Der Chef ist auswärts, Nicole«, vernahm sie seine sanfte Stimme. »Er kommt erst gegen Mittag zurück, wollte zu irgendeinem Gespräch…«
Da entsann sich Nicole wieder. Sie hatten am gestrigen Abend noch darüber gesprochen, und direkt nach dem Frühstück war Zamorra in dem Wagen losgefahren. In der Hektik, in der die vorliegende Korrespondenz abgewickelt werden mußte, war es ihr wieder völlig entfallen, daß Zamorra sich nicht mehr im Schloß befand.
»Danke, Raffael«, erwiderte sie mit einem leichten Lächeln. »Ich glaube, ich werde alt, mein Gedächtnis läßt nach.«
»Aber doch nicht Sie, Nicole…«
Nicole unterbrach die drahtlose Sprechverbindung. Nun gut, es blieb ihr also nichts übrig, als auf Zamorra zu warten. Sie widmete sich wieder der Routine. Vor ein paar Tagen waren sie erst aus dem Ausland zurückgekehrt, hatten wieder einmal einen »Fall« gelöst, und in der Zwischenzeit hatte sich ein Berg unerledigter Post angehäuft, der sich nur langsam bearbeiten ließ. Darunter befand sich ein Angebot der Pariser Universität, für das übernächste Semester einen Lehrstuhl für Parapsychologie auszufüllen. Nicole war geneigt, ihrem Chef zuzureden, das Angebot anzunehmen. Das damit verbundene Honorar konnten sie gebrauchen. Sie befanden sich zwar nicht in finanziellen Schwierigkeiten, aber man sollte das Geld mitnehmen, wo man es bekam. Wer weiß, wann man es einmal benötigte…
Außerdem wäre es einmal etwas Abwechslung. Etwas anderes, als nur hin und wieder Gastvorträge zu halten und ansonsten sich nur der Forschung - und dem Kampf gegen das Böse zu widmen.
Ein paar Minuten später war sie schon wieder mitten drin im Papierkrieg und merkte gar nicht mehr, wie die Zeit verging.
Zwischendurch schrillte das Telefon noch einmal. In einem Ferngespräch aus den USA meldete sich Bill Fleming an. »Ich treffe morgen mittag per Jet in Limoges ein und komme dann mit einem Hubschrauber
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