0117 - Der Rattenkönig
Unaufhaltsam wand sie sich durch die Hügel. Lange Steigungen machten Lastwagen und Wohnwagengespannen schwer zu schaffen. Sie blieben zurück.
Ich fuhr schneller.
Es war eine reizvolle Gegend, durch die wir rollten. Zudem zählte die Provinz Essex nicht zu den ärmsten im Lande. Wir sahen schmucke Dörfer, gepflegte Felder und weite Rasenflächen. Wie aus einem Bilderbuch.
Es war ein ziemlich klarer Tag, man konnte weit sehen, und als wir die höchste Stelle erreicht hatten, wies Suko nach vorn.
»Dort ist das Meer!«
Er hatte recht. Weit in der Ferne sahen wir eine blaugraue Fläche.
Dort wuchsen Wasser und Himmel am Horizont zusammen.
Die letzten Meilen lagen vor uns.
Jane hatte Durst.
»Vor Southwick halten wir nicht«, sagte ich.
»Stell dich nicht an!«
Ich war dagegen, doch Shao wollte auch etwas trinken. So ließ ich mich breitschlagen und fuhr vom Motorway ab.
»Vergiß nicht, wir haben Urlaub«, sagte die Detektivin. »Und da kann man sich ruhig Zeit lassen.«
»Wie du meinst.«
Ich schloß den Wagen ab und schritt hinter den Freunden her, die schon auf das Lokal zugingen. Es war in einem alten Fachwerkhaus untergebracht. Unter den schattigen Zweigen hochgewachsener Ulmen parkten einige Wagen.
Leider standen vor dem Haus keine Tische und Stühle. So mußten wir ins Lokal gehen.
Jane hatte schon einen Fensterplatz ergattert. An den anderen Tischen hockten Urlauber. Familien mit ihren Kindern. Die Menschen besaßen zwar eine braune Gesichtsfarbe, wirkten jedoch ziemlich verstört.
Gar nicht wie Leute, die aus den Ferien kamen, was mich wiederum wunderte. Automatisch mußte ich an den starken Gegenverkehr denken, der uns auf der Fahrt ins Auge gestochen war.
Sollte in Southwick oder wo auch immer etwas passiert sein?
Ellen Langster hatte ja erzählt, was ihr und anderen Badegästen widerfahren war.
Ich wurde mißtrauisch.
Es gab auch Eis.
Jane sah die Becher auf einer Karte abgebildet und stieß einen Jubelschrei aus. »Das ist genau das Richtige.«
Sie bestellte für sich einen Früchtebecher. Shao nahm ebenfalls von dem süßen Zeug, das nun überhaupt nicht den Durst löschte.
Ich jedoch enthielt mich eines Kommentars.
Ich bestellte etwas Bitteres, Suko nahm Tee.
Vom Nebentisch stand jemand auf. Es war ein Familienvater, der sich auf die Waschräume und Toiletten zubewegte.
Das war die Möglichkeit.
Ich blieb noch ein paar Sekunden sitzen und folgte dem Mann.
Ein Gang nahm mich auf, der so niedrig war, daß ich den Kopf einziehen mußte.
Rechts fand ich die Toilette. Davor lag ein Waschraum. Der Mann stand über ein kleines Becken gebeugt und ließ Wasser in seine Hände laufen.
Ich wartete, bis er nach dem schmuddligen Handtuch faßte. Dann sprach ich ihn an.
»Entschuldigen Sie, Sir, Sie kommen mit Ihrer Familie aus dem Sommerurlaub?«
»Ja.«
»Darf ich fragen, was Sie deprimiert hat? Ich meine, Sie machen keinen erholten Eindruck.«
Der Mann rieb sich die Hände trocken und schaute mich mißtrauisch an. »Wer sind Sie überhaupt?« blaffte er. »Kommen Sie mir doch nicht auf diese dumme Tour.«
»Sorry.« Ich zeigte ihm meinen Ausweis.
»Scotland Yard?« Er räusperte sich und wurde sofort zugänglicher. »Okay, Mr. Sinclair, wenn das so ist. Wir kommen aus Southwick und sind vorher abgereist, weil man es dort nicht mehr aushalten konnte. Wir waren unseres Lebens nicht mehr sicher. Die Rattenplage haben die da.«
»Wieso?«
Er nickte heftig. »Wissen Sie was? Sie kamen aus allen Richtungen, fielen über den Strand her, griffen Menschen an, und ich weiß nicht, ob sie auch welche getötet haben, nehme es jedoch stark an. Ja, das glaube ich.«
»Was hat man dagegen getan?«
»Nichts.«
»Keine Polizei?«
»Doch, die kam. Auch andere Hilfsdienste rollten an. Glauben Sie nur nicht, daß die mit den Ratten fertig geworden wären. Hätten sich die verdammten Biester nicht von allein zurückgezogen, hätte es übel ausgesehen.«
»Sind noch Menschen dort geblieben?« fragte ich.
»Nicht mehr viele. Die meisten sind abgereist. Ist auch verständlich. Und die Hoteliers schreien Zeter und Mordio. Sie suchen jetzt einen Schuldigen.«
»Den man nicht hat«, vermutete ich.
»Richtig.«
»Hat man denn einen Verdacht?« wollte ich wissen.
»Keine Ahnung.«
Ich lächelte. »Auf jeden Fall danke ich Ihnen für die Auskünfte.«
»Bitte, gern geschehen. Darf ich Ihnen denn eine Frage stellen, Mister?«
»Natürlich.«
»Wollen Sie wirklich nach
Weitere Kostenlose Bücher