0118 - Der Drachengott von Bali
den Noabiben in die Grotte eingekerkert worden. Die Öffnung zur Höhle war durch ein Gatter abgeschlossen, das bis hinauf zum höchsten Punkt des Eingangs reichte.
Dazu hatte Sokor noch einen sinnreichen, wenn auch einfachen Mechanismus konstruiert, der eine Tür öffnete, sobald man ein mit einem Stein beschwertes Seil kappte.
Dann konnte der Drachendämon aus seinem Gefängnis heraus in die Freiheit und blieb trotzdem Sokors Willen unterworfen, wie er es versprochen hatte.
Sokor beherrschte dieses Wesen, weil dessen Blut nun auch in seinen Adern floß. Er und seine Magie hatten aus dem Chinesen das gemacht, von dem der Medizinmann sich alles versprach.
Die Noabiben sahen endlich einen Ausweg aus der Armseligkeit ihrer derzeitigen Lebensumstände. Sie sehnten sich nach Licht und Sonne, und beides war ihnen vor vielen Generationen geraubt worden.
Sie waren arm.
Unten an der Küste waren die Menschen reich. Sie hatten all das im Überfluß, was die Orang Abung so bitter entbehren mußten.
Sie hatten ihrem Drachendämon einen Namen gegeben.
Noab.
An ihn klammerten sich all ihre Hoffnungen, all ihre Sehnsüchte.
Und an Sokor, ihren Medizinmann, der diesen Drachengott beherrschte.
In dieser Nacht feierte der Stamm ein Fest.
Sie hatten Erdgruben ausgehoben, glühend heiße Steinplatten über den Grund verteilt und geschlachtete Wildschweine daraufgelegt. Die Schweine wurden mit Sand bedeckt und mit Palmblättern. Darüber kam noch mal eine Schicht Erde.
Das Fleisch schmorte im eigenen Saft. Bis die Schweine gargeschmort waren, würde noch einige Zeit verstreichen.
Sokor erschien all seiner Insignien eines Medizinmanns entblößt auf dem Platz vor der Grotte. Er schaute sehr ernst drein.
Er wußte genau, welchen Prozeß er in Gang setzen wollte. Man hatte ihm und seinem Volk keine andere Wahl gelassen. Jedes zweite Kind starb. Ihr Stamm wurde immer kleiner.
Dabei waren die Orang Abung einstmals die Herren dieser Insel gewesen.
Sokor trat vor den Käfig und musterte das Wesen, das sich in die hinterste Ecke gekauert hatte.
Ein wenig war es noch Kien Lin-Yang. Aber zum größeren Teil war es die fleischliche Inkarnation seines Willens, den Noabiben zu helfen.
Dabei war Sokor kein Weg zu gewalttätig, keine Methode zu grausam. Und er wußte sehr genau, daß er die Magie seiner Ahnen für dieses Ziel mißbrauchte.
Er nahm das auf sich. Das eigene Leben bedeutete ihm nicht viel. Das Leben und Weiterleben all dieser Menschen die ihn brauchten, bedeutete ihm alles.
Sokor wollte sein Volk zurückführen an die angestammten Plätze. Für die Erreichung dieses Ziels opferte er sich gerne. Dafür würde er sogar sterben.
Noab war ein Dämon, den er aus den Reichen der unteren Welten geholt hatte.
Ein böser Dämon.
Sokor mußte höllisch achtgeben, daß der Drachenmann nicht seine wahre Natur erkannte.
Deshalb hatte er seinen Körper auch einsperren lassen und den Platz davor mit Bannsprüchen besprochen, die für Dämonen unüberwindbare Hindernisse aufschichteten. Nur mit seinem Einverständnis konnte der Drachendämon losschlagen, und das sollte er letztendlich auch.
Sokor starrte das Wesen immer noch an, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.
Hinter ihm stand Leasa, der oberste Häuptling der Stämme. Er hatte Sala, seine jüngste Tochter dabei. Leasa vertraute ihm blind.
»Was willst du, Leasa?«
»Noab muß Hunger haben. Ich erinnere mich noch gut an die alten Riten. Vierzig Schritte von hier stellen meine Söhne schon die Steinsäule auf.«
»Du willst…?«
Leasa nickte ernsthaft.
»Sala ist gesund und schön und jungfräulich. Noab wird sie mögen.«
»Leasa!« sagte Sokor scharf. »Nimm sie mit und behalte sie! Wir haben es nicht mehr nötig, eigenes Blut zu opfern.« Der Medizinmann schaute den Berg hinab, und sein Blick reichte trotz der Dunkelheit weit. »Sieh dieses Land, Leasa. Es ist voll von Blutopfern für Noab. Behalte deine Tochter. Ich will nichts mehr davon hören. Sie soll viele Kinder gebären, und alle sollen sie leben. Nimm Sala mit, Leasa. Noab braucht unsere Opfer nicht. Der Drachengott sorgt selbst für sich. Und für uns.«
Das war der Augenblick, in dem tief unten im Tal die Trommeln dröhnten.
Sokor hielt seinen Kopf etwas schräg und lauschte ins Tal hinunter.
Er lächelte.
»Die Götter sind mit uns, Leasa. Lasse die Steinsäule stehen, die deine Söhne gerade errichten. Sie tun ihre Arbeit nicht vergeblich. Noab sorgt selbst für sich. Hörst du die
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