0119 - Königin der Seelenlosen
Zamorra die Hand wieder frei, doch dafür drängte sich etwas Fremdes in sein Denken.
Etwas Gewaltiges. Etwas Böses.
Aber Zamorra hatte seine Sinne in der Gewalt. Vor Fremdeinflüssen schützte ihn ein selbstgeschaffter, ungeheuer starker hypnotischer Block, der kaum durchdrungen werden konnte. Er konnte sich für Stimmen aus dem Jenseits zwar öffnen, doch kaum eine Gewalt aus den Zwischenreichen konnte ihn dazu zwingen.
Und das waren andere Strömungen als jene, die er während des Fluges nach Tafraoute empfangen hatte.
Die hier waren von einer brutalen Besessenheit, von einer alles niederwalzenden Kraft, die Zamorra trotzdem nicht genau bestimmen konnte. Er dachte an einen Dämon von beinahe unbeschränkten Befugnissen, an eine Ausgeburt der Hölle, wie er schlimmer noch selten mit einer zusammengetroffen war.
Zamorra spürte, daß er die Konfrontation mit dieser Wesenheit für sich entschieden hatte. Er empfing Strömungen von bitterstem Haß, rasender Enttäuschung und bestialischer Wut.
Der Dämonenjäger schwang die Beine aus der Hängematte, versank in dem Nebelmorast, doch der konnte ihm nichts mehr anhaben. Er murmelte einige Formeln, die die Wirkung seines Amuletts noch verstärkten, und plötzlich heulte eine Sturmbö um die Ecken des Hotelturms. Sie nahm die Nebel mit, fegte sie hinauf in den Himmel, wo sie die Sterne verdunkelten.
Bill Fleming und Nicole fuhren von ihren Lagern hoch.
Sie sahen Zamorra mit beschwörend erhobenen Armen dastehen. Sein Gesicht eine steinerne Maske. Die Mundwinkel vor Anstrengung verkniffen. Sie wurden Zeugen, wie die Nebelmassen zerfaserten, sich südlich über dem kleinen Marktplatz vor den Toren der Stadt sammelten und sich zu einem plastischen Bild formten.
Nicole stieß einen spitzen Schrei aus, als sich zeigte, welches Bild das war.
Unverkennbar das von Professor Zamorra.
Er trug nur einen Lendenschurz und war an einen Pfahl gefesselt. In Burnusse gehüllte Skelette schleuderten Lanzen auf den Körper. Viele der Lanzen trafen, und bei jedem Treffer wand sich das Abbild Zamorras am Pfahl hoch. Der Mund war weit aufgerissen, das Weiße der Augen leuchtete schauderhaft durch die Nacht.
Dann fuhr der Kopf nach unten. Eine Lanze durchbohrte genau Zamorras Kehle, nagelte den Hals an den Pfahl.
Nicole schrie immer noch, als das Bild schon wieder zerfaserte, die Nebel sich lösten und in Windeseile nach Südosten jagten, wo sie sich hinter Gebirgsketten versteckten, um nicht wieder aufzutauchen.
Auch Zamorra mußte sich eingestehen, daß diese perfekte Illusion ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlte, doch er ließ sich nicht so scheu davon machen wie Nicole.
Er mußte ihr einen Klaps ins Gesicht versetzen, damit sie nicht das gesamte Hotelpersonal samt den Gästen zusammenschrie. Endlich kam sie wieder zu sich, tastete ihn ab, als könne sie nicht glauben, daß er noch am Leben war, und warf sich dann aufschluchzend an seine Brust.
»Mist«, kommentierte Bill Fleming nur. »Was war das?«
»Ich hoffe, kein Bild aus meiner Zukunft«, erwiderte Professor Zamorra sarkastisch. »Eigentlich hatte ich vor, ein wenig länger zu leben.«
»Das wirst du auch«, startete Bill einen Versuch, den Freund zu beruhigen.
Aber Zamorra brauchte diesen Zuspruch nicht. Trugbilder waren noch nie geeignet gewesen, ihm den Schneid abzukaufen. Sie bereiteten ihm allenfalls ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.
Und das hatte er jetzt.
In dieser Nacht war an Schlaf nicht mehr zu denken.
***
Auch Justin Malder verlebte kurz darauf äußerst unruhige Stunden.
Am Tag, nachdem Professor Dr. Harri van Straaten unter diesen äußerst mysteriösen Umständen »geköpft« worden war, hatte der junge Wissenschaftler die Gruft noch mal aufgesucht.
Die Leiche hatte keinen abgetrennten Schädel mehr. Da Justin Malder vor seinem Archäologiestudium auch einige Semester Medizin belegt hatte, tippte er auf einen Herzschlag. Zu dieser Todesursache paßte nur der dünne rote Streifen nicht, den Harri van Straaten um seinen Hals trug.
Der Tote war inzwischen nach Tarhjit geschafft, die Ausgrabungen am Fundort wieder aufgenommen worden, wobei es die Arbeiter jedoch peinlich vermieden, auch nur in die Nähe des Grotteneingangs zu kommen.
Justin Malder war der einzige, der sich dort herumtrieb.
Neben Hassan al Jareff.
Der junge Wissenschaftler mußte ihn ein paarmal verjagen. Der Mann, den er von Anfang an nicht gemocht hatte, wurde ihm mittlerweile unheimlich, denn er rückte mit
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