012 - Der mordende Schrumpfkopf
Larry forderte Jorge auf, zur Wand zu gehen. In der
Zwischenzeit bückte er sich und hob die Waffe auf.
»Sie können sich umdrehen, junger Freund. Wozu ein nackter Finger
manchmal gut sein kann.« X-RAY-3 grinste, als er Jorges verdutztes Gesicht sah.
Der Agent war nicht bewaffnet gewesen. Er nahm die Patronen aus der Pistole und
warf die nutzlose Waffe dem Südamerikaner zu.
»Und nun unterhalten wir uns wie anständige Menschen«, meinte
Larry Brent. Er blickte abwechselnd auf die attraktive Anja, dann wieder auf
den verdutzten Jorge, der die Welt nicht mehr verstand. »Gestatten Sie, daß ich
mich vorstelle, Senorita: Larry Brent ist mein Name. Ich bin nicht zufällig
hier vorbeigekommen, es war meine Absicht, Sie kennenzulernen. Zufall
allerdings, daß ich Zeuge des Gesprächs zwischen Ihnen und Ihrem offenbar
unerwarteten Gast wurde.
Es ist nicht die feine englische Art, an des Nachbarn Tür und
Wände zu lauschen. Aber in meinem Fall war es recht vorteilhaft. Nachdem ich
mich entschlossen habe, auf legale Weise weiterzuhorchen und mich hin und
wieder selbst ins Gespräch einzuschalten, dürften wir allerdings schneller vom
Fleck kommen. Ich glaube, daß ich in Ihrem beiderseitigen Interesse tätig bin.
Das wird sich schnell zeigen.«
Er behielt recht.
Nachdem klar war, was jeder wollte, kam man auf einen gemeinsamen
Nenner. Larry wurde auf diese Weise eine ganze Reihe wichtiger Fragen
beantwortet, und er vermochte sich ein recht gutes Bild von den Vorfällen zu
machen.
Aber das Grundsätzliche blieb ihnen allen ein Rätsel: Wo war
Juanita, wo hielt sich Estrello zu dieser Stunde auf?
X-RAY-3 zeigte sich an der Theorie und den Ausführungen des jungen
Südamerikaners sehr interessiert. Was Jorge da von sich gab, war einer
Überprüfung wert.
Jedenfalls ging hier etwas nicht mit rechten Dingen zu. Und wenn
man Jorges Meinung mit den bissigen Auswertungen der Computer verglich, dann
waren gemeinsame Grundlagen zu erkennen.
Das, was Estrellos Partnerin von sich gab, klang nicht so
überzeugend. Dem erfahrenen Menschenkenner entging nicht, daß die hübsche junge
Frau irgendwas bedrückte.
Sie rückte nicht recht mit der Sprache heraus.
Klar wurde Larry sich über Jorges Absichten. Er wollte sowohl
Juanita als auch Estrello finden. Und er hatte präzise Vorstellungen davon.
Immer wieder jedoch sprach er auch von den besonderen Fähigkeiten des Zauberkünstlers,
den er als Hexenmeister und Kenner der Schwarzen Magie bezeichnete.
X-RAY-1 wandte sich wieder an Anja. »Ich verstehe ich nicht,
Senorita«, meinte er leise. »Wenn doch feststeht, daß Estrello sich nach ihrem
Weggehen noch im Bus befand, dann müßte er sich doch innerhalb von
vierundzwanzig Stunden gemeldet haben.«
Hier lag der Haken. Ein Blinder mit dem Krückstock mußte auf
diesen Widerspruch stoßen.
Anja zuckte die Achseln. »Bei Estrello weiß niemand, woran er
ist.«
»Vielleicht sollte man mal mit dem Fahrer des Busses sprechen«,
schlug X-RAY-3 vor. »Ihm muß die Abwesenheit seines Herrn und Meisters doch
auch komisch vorkommen.«
Anja lächelte. »Bertrand denkt nicht. Er handelt nur. Estrello ist
nicht da, also wartet er auf ihn.« In die Stimme der schönen Frau mischte sich
eine gewisse Kühle.
»Sie könnten ihn beseitigt haben, Senorita!« Larrys Worte schlugen
ein wie eine Bombe. Genau das bezweckte er auch. Er beobachtete Anjas Reaktion.
Sie fuhr zusammen, als würde eine Peitsche über ihren Rücken gezogen.
»Unsinn!« sagte sie mit heiserer Stimme. »Estrello beseitigt man
nicht! Das bringt niemand fertig!«
Ihre Augen weiteten sich. »Da! Da...«, entrang es sich ihren
Lippen, und sie streckte zitternd
die rechte Hand aus und wies auf das lange Fenster zur Terrasse.
X-RAY-3 folgte ihrem Blick.
»Estrelllllooooo!« Gellend hallte Anjas Schrei durch den Wohnraum.
Am dunklen, spiegelnden Fenster zeigte sich verwaschen ein
kleiner, faustgroßer, furchterregender Schädel.
Ein Schrumpfkopf! Die Nagetierzähne ragten über die schmalen, wie
zu einem bösartigen Grinsen geöffneten Lippen.
Als Larry zum zweiten Mal hinsah, war der Spuk verschwunden.
»Das war Estrello!« Anjas Worte waren kaum zu verstehen. Die junge
Frau verdrehte die Augen und wurde ohnmächtig. Larry fing sie gerade noch auf,
ließ sie langsam auf den breiten Diwan gleiten und raste auf die Terrasse
hinaus.
●
Wie ein Schatten folgte Jorge ihm auf den Fersen.
Der Südamerikaner atmete heftig. »Er ist mehr als ein Zauberer;
ich
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