012 - Der Schatten des Vampirs
Orchester bildeten, stimmten ihre Instrumente.
Während Santiago mit der Wirtin plauderte, beobachtete er einen Neuankömmling. Es war ein untersetzter dunkelhäutiger Mann, der vor kurzem von Para gekommen war. Er hatte sich sehr schnell einen schlechten Ruf als Schläger und Kampfhahn erworben. Aber das war es nicht, was Santiago an dem Mann missfiel. Ihn ärgerten vielmehr die Blicke, die dieser José Concha zuwarf, wenn sie tanzte.
Das sah jeder Blinde, dass dieser Neue von Conchas Schönheit fasziniert war und sie haben wollte. Er hatte nicht wie alle anderen akzeptiert, dass sie Santiagos Eigentum war. Im Kreis der Männer hatte er sich über ihre Treue lustig gemacht und geprahlt, dass er ihre Tugend schon zu Fall bringen würde.
Santiago hatte dies alles gehört und war nicht gewillt, es zu überhören. Im Gegenteil, diesmal wollte er aufpassen, das hatte er sich vorgenommen.
Concha erschien zum Auftritt. Sie war aufreißend angezogen, hatte sich sorgfältig geschminkt und trug ein Kleid mit einem Ausschnitt, den man wirklich als kühn bezeichnen konnte. Sie schenkte den Männern ihr Lächeln, das berufsmäßige Lächeln der Mädchen, die dafür bezahlt werden. Aber ihre Augen, die eher ein bisschen melancholisch blickten, schienen dem freundlichen Mund zu widersprechen.
Die Seringueiros verlangten nicht mehr. Sie waren damit zufrieden.
Santiago beobachtete José sehr genau und nahm sich vor, von Anfang an reinen Tisch zu machen, damit der Neue wusste, woran er war.
Concha war übrigens nicht so wie sonst. Seit einigen Tagen schon fand ihr Liebhaber sie launisch, zerstreut. Sie hatte auf seine Fragen versichert, es sei nichts, sie hätte eben ein bisschen Fieber. In Wirklichkeit aber war sie wieder besessen von der Erinnerung an die Zaubermelodie. Das Lied ließ sie nicht mehr los.
Als die Tänzerin den Raum betrat, applaudierten die
Seringueiros wie verrückt.
„Concha!“ schrieen sie aufgeregt. „Concha! Conchita!“
Sie lachten und prosteten der Tänzerin zu.
Als sie an Santiago vorbeikam, biss er sich auf die Lippen und verzog das Gesicht.
Concha erschien merkwürdig unsicher – er sah genau, dass sie unter der Schminke blass war. Sie schien vor irgendetwas Angst zu haben. Sollte das Drama von vorn anfangen? War der Zauber aus dem Urwald nicht endgültig gebrochen?
Die Musiker hatten einen Bolero angestimmt. Mit zurückgeworfenem Kopf und graziösen Bewegungen machte Concha die ersten Schritte. Es wurde ganz still, und die Mädchen, die der Wirtin beim Servieren halfen, wandten sich auf Zehenspitzen zwischen den Tischen hindurch, um nicht zu stören.
Auch die Männer waren ganz ruhig. Eine Rauchwolke stieg zu den Lampen hoch und dämpfte das gelbe Licht, das Schwärme von samtigen Nachtschmetterlingen anzog. Von Zeit zu Zeit versengte sich einer die Flügel und fiel mit matten Bewegungen auf den Tisch oder auf den Boden, wo er von irgendwelchen Füßen zertreten wurde.
Es roch nach Schweiß, Schnaps und Tabak. Dazu gesellten sich die feuchten Dünste aus dem Urwald, die wie ein schweres, betäubendes Parfüm durch die Fenster in den Raum strömten. Und kein Luftzug sorgte für ein wenig Abkühlung.
Die Männer fühlten sich wie von einer Last befreit, seit der tropfende Regen nicht mehr ihren einzigen Lebensrhythmus darstellte. Ihre einzige Sorge im Moment war der Vampir, den sie bisher weder erlegen, noch in die Flucht hatten schlagen können.
Davon abgesehen, stellten sie sich darauf ein, bald ihre Arbeit bei der Latexernte wieder aufzunehmen. Bis es soweit war, war Concha eine angenehme Abwechslung, ein Widerschein des schöneren Lebens da draußen, das sie alle einmal wiederzugewinnen hofften.
José verschlang die Tänzerin mit den Augen. Er hatte genau gemerkt, dass Santiago ihn überwachte, aber er kümmerte sich nicht im Mindesten darum, wenigstens nicht in diesem Moment.
Übrigens war Santiago der einzige, der bemerkt hatte, dass mit Concha etwas los war. Er fragte sich, ob ihr verändertes Benehmen etwas mit José zu tun hätte. Aber eigentlich hatte sie sich bisher um keinen anderen Mann gekümmert, und von José hatte sie gesagt, dass er ihr besonders lästig sei.
Trotzdem, Concha war nicht wie sonst. Santiago, der sehr genau hinsah, bemerkte eine gewisse Ungelenkheit in ihren Bewegungen, wie er sie bisher noch nie bei ihr festgestellt hatte.
Donnernder Applaus dankte ihr für die Darbietung. Sie nahm ihn lächelnd hin, aber ihr Blick schweifte ab, in die Ferne, als
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