012 - Der Schatten des Vampirs
Flügel das Fenster streiften, nur ein paar Zentimeter von dem Unterschlupf entfernt, wo er sich verborgen hielt.
Dann sah er nichts mehr, auch nicht das andere offene Fenster, das zum Schlafzimmer gehörte, wo Santiago erschöpft und krank daniederlag.
Santiago phantasierte. Sein Alptraum wurde schlimmer. Der Vampir kam jetzt direkt auf ihn zu. Er flog über das Bett. Sein ekelhafter haariger Körper streifte ganz leicht das Kopfkissen. Er schlug immer noch mit den Flügeln, die einen sanften erfrischenden Hauch erzeugten, was normalerweise den Schlaf der Opfer vertieft, so dass er umso leichter sein blutiges Werk verrichten kann.
Santiago litt Höllenqualen. Er war unfähig zu reagieren. Dabei spürte er den Vampir auf seiner Brust, spürte den haarigen Kopf, der sich auf seinen nackten Hals schob. Dann musste er den gefährlichen Biss des Ungeheuers ertragen, das seine zwei weißen, kleinen Zähne in sein Fleisch schlug.
Noch immer konnte er kein Glied rühren.
„Santiago! Santiago!“
Die Stimme drang in seinen Traum. Es war eine menschliche Stimme, die ihn mit einem Schlag erlöste.
„El Dondo“ war da, atmete, stand an seinem Bett.
„Dondo!“ rief der Verwundete. „Dondo, was ist denn los?“
Felipe traten die Augen fast aus den Höhlen, als er an Santiagos Kehle zwei kleine blutende Punkte wahrnahm. Zwei kleine Fleckchen, man konnte sie kaum erkennen. Das war der Biss des Vampirs, die Erfüllung des unheimlichen Versprechens der Bruja.
Sie hatte ihn also nicht betrogen. Das Verderben war über seinen Todfeind gekommen.
Santiago, der sich im Bett aufgerichtet hatte, begriff noch nicht was geschehen war. Erst als er dem erschreckten Blick Felipes folgte, berührte er seine Kehle und wimmerte: „Dondo, das war kein Alptraum!“
Felipe schüttelte den Kopf.
„Ich habe dein Zimmer betreten, Santiago, weil Concha mir aufgetragen hatte, dir die Medizin zu geben. Und dann, dann habe ich gesehen …“
„Man muss die Wunde ausbrennen. Schnell, schnell!“
Santiago schwankte. Felipe half ihm, sich aufrecht zu halten.
„Ein glühendes Eisen! Ich muss ein glühendes Eisen haben!“ brüllte Santiago, der sich an der Wand anlehnte, um nicht umzufallen. Durch das Fenster konnte er den schwachen Feuerschein der Essen in der Schmiede erkennen.
Ein Gedanke durchzuckte ihn. Er schrie: „Los, Dondo, mach schnell. Lauf in die Schmiede! Die Esse glüht noch. Hol mir ein heißes Eisen. Aber renne! Es muss noch glühen!“
Er ging auf Felipe zu und versetzte ihm einen heftigen Stoß, den man ihm bei seiner Schwäche nicht zugetraut hätte.
Felipe begriff. Er rannte gleich los, um die Hütte herum und hinüber zur Schmiede. Santiago, allein, holte am Fenster tief
Atem, aber es wurde ihm davon schwindelig. Aus einer Flasche, die in Reichweite stand, nahm er einen tüchtigen Schluck Cachaca, um sich zu stärken und sich zu betäuben.
Er stieg auf einen Hocker, um näher beim Fenster zu sein und besser atmen zu können. Schon war er über und über mit Schweiß bedeckt. Santiago wusste, was das bedeutete. Die Vergiftung begann sich in seinem Körper auszubreiten.
Er trank noch einen Schluck und rief ungeduldig nach Felipe.
Wo er nur blieb? Zur Schmiede waren es nicht mehr als fünfzig Meter.
Endlich kam Felipe zurück. Er rannte, so schnell er es mit seinen verkrüppelten Beinen vermochte. Mit beiden Händen hielt er ein langes Eisenstück, dessen Ende noch rotglühend war.
„Ich habe es in der Glut gefunden“, sagte er atemlos.
Santiago wandte den Blick ab, als er das glühende Eisen sah.
Aber das war die einzige Lösung. Ein Gegengift war nicht zur Hand, und Arzneien konnte man nur sehr weit entfernt besorgen. Wie alle Dschungelbewohner wusste Santiago, dass der Biss des Vampirs tödlich sein und das gefährliche Gift, das er übertrug, wie bei einem Schlangenbiss nur durch Feuer unschädlich gemacht werden konnte.
„Gib her“, flüsterte er heiser.
Felipe kam näher. Santiago biss die Zähne zusammen und ergriff das heiße Eisen. Im gleichen Augenblick wurde ihm jedoch klar, dass er unmöglich allein handeln konnte.
Wen sollte er herbeirufen? Er durfte ja keine Zeit verlieren.
„Du musst es machen, Dondo, rasch!“
Felipe flüsterte: „Ich bin nicht stark genug. Du wirst dich wehren und dann …“ „Komm schnell, da hast du das Eisen! Los, wir haben schon genug Zeit verloren!“
Felipe nahm das Eisen. Aber nachdem er die Haut des Seringueiros nur leicht damit gestreift hatte, fing
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