012 - Der Schatten des Vampirs
Instinktiv hatte sie die Augen zum Himmel gehoben, denn sie glaubte immer, den Vampir zu sehen. Sie würde erst wieder ruhig sein, wenn er abgeschossen war und mit seinen Flügeln an einer Wand angenagelt, wie das hier üblich war.
Sie entfernte sich langsam von der Hütte, und verschwand im Dunkel.
Ein wenig später hörten die Schmiede mit ihrer Arbeit auf. Sie hängten ihre Hämmer auf, und nur zwei blieben in der Schmiede, um auf die Pferde aufzupassen. Die anderen wollten an dem bisschen Vergnügen Anteil haben, das dieses miserable Leben hier bot, und beeilten sich, noch rechtzeitig zu Conchas Auftritt zu kommen.
Santiago lag in der Hütte auf seinem Bett. Das Atmen fiel ihm schwer, denn es herrschte eine fast unerträgliche Hitze im Raum. Felipe hatte die Lampe ausgemacht, damit der Kranke nicht allzu sehr von den Moskitos geplagt wurde.
Der Krüppel im Dunkeln schlief aber nicht, sondern sinnierte. Es war ihm so vorgekommen, als. hätten die Hämmer der Schmiede den Rhythmus des Hexenlieds geklopft. Dabei wollte er es vergessen. Er hatte so etwas wie Gewissensbisse oder einen Anflug von Reue, weil er die übernatürlichen Mächte ins Spiel gebracht hatte.
Aus dem Bett des Kranken stieg ein leichter Blutgeruch. Felipe spürte ihn bis in seinen Winkel.
Dieses verrinnende Blut war das Blut des Mannes, der ihn so sehr hatte leiden lassen. Er blickte zum Fenster, wo er den fernen Widerschein der Essen sah, die langsam verlöschten.
Die Zeit verging. Eine Stunde, zwei Stunden …
Santiago stöhnte manchmal leise vor sich hin. Das Chinin hatte das Fieber zwar gesenkt, aber seine Wunde, die zwischen den Schulterblättern saß, zwang ihn, immer auf der Seite zu liegen, was auf die Dauer sehr unbequem war. Die geringste Bewegung bereitete ihm Schmerzen. Und oft hatte er Alpträume.
In seinen Träumen erschien immer wieder der Vampir, der für ihn die Nacht symbolisierte, in der Felipe die Teufelsserenade gespielt hatte.
Nach dem Überfall, dessen Opfer er geworden war, hatte er noch von der Bestie sprechen hören, die die Seringueiros in der ganzen Pflanzung verfolgten. Und die Riesenfledermaus war immer noch nicht erlegt worden.
In dieser Nacht spürte Santiago wieder die Flügelschläge des Blutsaugers.
In seinen Gedanken war der Flug des Vampirs immer unregelmäßig. Es schien, als flöge er stoßweise. Nach und nach bemerkte Santiago in seinem Zustand zwischen Schlafen und Wachen, dass das scheußliche Tier in einem bestimmten Takt flatterte.
Dieser Takt, der Santiago von ganz weit her zu berühren schien, war immer derselbe.
Auf der anderen Seite der Tür lehnte Felipe an der Wand. Erschöpft war er in einen Halbschlaf verfallen und hatte die Stunde verpasst, in der er Santiago das Chinin verabreichen sollte. Er hatte zwar die Augen noch offen, aber er sah ständig Bilder, die nicht der Wirklichkeit entsprachen.
Er fuhr hoch aus seiner Regungslosigkeit. Irgendetwas war an seinen Augen vorbeigehuscht und hatte seine scheinbare Ruhe gestört.
Gleich darauf fiel er wieder in seinen Zustand der Apathie zurück. Erst als sich der Vorgang ein- oder zweimal wiederholte, kam er zu sich. Felipe rieb sich die Augen und schaute diesmal aufmerksam auf das Fenster. Es zeichnete sich als ganz schwach beleuchtetes Rechteck in der Dunkelheit ab, weil immer noch ein wenig Licht von der Schmiede herüber drang.
In diesem Rechteck tauchte ein Schatten auf und verschwand wieder, einmal, zweimal, dreimal. Aber man hörte keinen Laut.
Felipe stand ganz leise auf und schlich zum Fenster. Dabei passte er auf, dass er die Wand nicht berührte.
Dann kauerte er sich hin und lauerte.
Für einen Moment huschte ein merkwürdiges Lächeln über sein Gesicht, das sich nie mehr erhellt hatte, seit ihn Santiago den Piranhas ausgeliefert hatte.
Er folgte mit den Augen dem Hin und Her des schwarzen Körpers, der immer wieder am Fenster vorbei glitt, lautlos, drohend.
Das Tier verließ immer nur für den Bruchteil einer Sekunde die Finsternis, und sein Umriss erschien auf dem Rechteck des Fensters, bevor es wieder in der Dunkelheit untertauchte.
Felipe grinste vor sich.
Die schwarzen Mächte haben es nicht eilig. Da sie ewig sind, kennen sie nicht die Ungeduld der Menschen, die fieberhaft immer sofort verwirklichen wollen, was sie begehren.
Felipe beobachtete, dass die Kreise, die das Tier zog, immer enger wurden. Es näherte sich unaufhaltsam der Hütte. Und er war nicht im geringsten erstaunt, als die großen schwarzen
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