0120 - Die Stunde der Vampire
und riß ihren Kopf zurück. Dann versetzte er ihr eine schallende Ohrfeige. Vor Wut und Schmerz schrie Nicole laut auf.
Langdon Croce hatte den Schlag mittlerweile halbwegs überwunden. Auch er schaltete sich wieder ein. Während der Kräftige noch mit Nicole beschäftigt war, zahlte der Journalist gleiches mit gleichem zurück.
Sofort ließ der Kräftige Nicole los und krümmte sich mit gequältem Gesichtsausdruck zusammen. Croce stürzte sich auf ihn und fuhr ihm an die Gurgel.
Nicole holte tief Luft und ging wieder auf den Fahrer los. Der aber tat etwas Unerwartetes. Mit voller Kraft stieg er auf die Bremse.
Der Wagen schleuderte wild, als er abrupt an Tempo verlor. Die plötzlich freigesetzten Andruckkräfte preßten alle Fahrzeuginsassen in die Polster. Für Sekunden war an eine Fortsetzung des Handgemenges nicht zu denken.
Der Kräftige war der erste, der seine Handlungsfähigkeit wiederfand, als der Wagen zum Stillstand kam. Seine Rechte zuckte unter die linke Achselhöhle, kam wieder zum Vorschein. Ein großkalibriger Revolver glänzte in der nervigen Faust.
»Schluß jetzt mit den Spielereien!« sagte er böse.
Und da wußten Nicole und Croce, daß sie das Spiel endgültig verloren hatten.
***
Die Entfernung zwischen Port-au-Prince und Les Cayes betrug hundertundfünfzig Kilometer. Als es Zamorra mit einer vierundzwanzigstündigen Verspätung endlich geschafft hatte, kam es ihm jedoch so vor, als habe er eine Strecke von tausend Kilometern zurückgelegt. Verglichen mit der Route, die er hinter sich hatte, mußte jede Rallye-Strecke die reinste Erholung sein, die berühmt-berüchtigte Ostafrika-Rundfahrt eingeschlossen.
Es gab keine Verbindungsstraße zwischen den Städten, nur Wege und Andeutungen von Wegen, die für den Kraftfahrzeugverkehr nicht geschaffen waren. Immer wieder hatte er mit seinem in Port-au-Prince bei einer Mietwagenfirma ausgeliehenen Peugeot vor schier unüberwindlichen Hindernissen gestanden, die ihm die rauhe Bergwelt in den Weg stellte. Nur seiner unbeugsamen Energie - und seinen Automechanikerfähigkeiten - konnte er es verdanken, daß er schließlich doch noch ans Ziel gelangt war.
Einen Tag später, als mit Nicole verabredet…
Innerlich verfluchte er sich dafür, daß er mit dem Auto gefahren war. Vernünftiger wäre es wohl doch gewesen, ein Flugzeug zu nehmen. Auch wenn das Risiko bestanden hätte, von der Geheimpolizei am Flughafen abgefangen zu werden.
Langsam fuhr Zamorra in Les Cayes ein. Die Stadt, im Grunde genommen reichlich trostlos, erschien ihm nach den langen Stunden in der Bergeinsamkeit wie die Krone der Zivilisation.
Hotel Imperial…
Er war noch nie in Les Cayes gewesen, kannte das Hotel also nicht. Ein Angestellter der französischen Botschaft in Port-au-Prince hatte es jedoch empfohlen.
Zamorra mußte nicht lange suchen. Da war das Imperial, ein dreigeschossiger Steinbau mit babyblauer und schon etwas verblichener Fassade. Na ja, über Geschmack ließ sich nicht streiten.
Der Professor parkte seinen ramponierten Peugeot - die Mietwagenfirma würde begeistert sein, ihn in diesem Zustand wiederzusehen - vor dem Hotel und betrat es.
Gähnende Leere schlug ihm entgegen. Eine Empfangshalle gab es nicht, nur einen kleinen Vorraum mit einem thekenartigen Aufbau aus lackiertem Holz… Niemand stand dahinter. Zamorra erspähte allerdings eine Klingelschnur, die er auch umgehend betätigte.
Es schepperte durchdringend, trotzdem kam vorerst niemand. Erst als der Professor die Schnur schon fast abgerissen hatte, tauchte ein kleiner Neger in lotteriger blauer Uniform auf.
»Bonjour, Monsieur. Sie suchen ein Zimmer?« Das Französisch des Knaben war schauderhaft.
»Vielleicht, ja«, antwortete Zamorra. »Zuerst aber suche ich etwas anderes. Freunde von mir, Mademoiselle Duval und Monsieur Croce. Sie müßten gestern angekommen sein.«
»Mademoiselle Duval und Monsieur Cr…«
»Croce! Gestern angekommen. Oder vielleicht auch erst heute?«
Der kleine Mann schüttelte entschieden den Kopf. »Seit drei Tagen keine neuen Gäste. Mademoiselle und Monsieur bestimmt nicht hier.«
»Das ist unmöglich. Sehen Sie mal in Ihrem Gästebuch nach. Das heißt, wenn Sie so etwas überhaupt haben.«
Er hatte ein Gästebuch, wenigstens so etwas Ähnliches. Er förderte eine schmierige Kladde zutage und ließ den Professor auch Einblick nehmen.
»Sehen Sie selbst, Monsieur.«
Wenn die Eintragungen stimmten, hatte der Mann unbedingt recht. Die letzten Gäste hatten
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