0121 - Horror-Urlaub
war sie gestorben? Hatte niemand sie vermißt?
Nicole Duval schluckte trocken.
Zum erstenmal empfand sie so etwas wie Panik.
Sie fühlte sich elend und vereinsamt.
Wenn der Professor sie suchte, wie sollte er ausgerechnet auf dieses alte Gemäuer kommen?
Nicole Duval entschloß sich zu einem Experiment. Mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich auf Zamorra und sendete mit höchster Intensität ihren lautlosen Hilfeschrei.
***
Sven Bjoerner empfing den unerwarteten Besuch nicht unfreundlich, jedoch reserviert. Er mochte fünfzig Jahre alt sein, sah aber wesentlich älter aus. Sein Rollkragenpullover aus Kaschmirwolle mutete etwas eigenartig an, wenn man die hohen Außentemperaturen bedachte. Andere aalten sich am Strand in der Sonne.
Holger Jerup kannte den Gutsherrn natürlich. Selbst, wenn man so zurückgezogen lebte wie Bjoerner, begegnete man früher oder später jedem, der ständig auf der Insel lebte. Es war nur eine Frage der Zeit. Anholt war nicht groß genug, um sich wirklich verbergen und abkapseln zu können. Irgendwann brauchte jeder einen Arzt, den Krämer oder den Pfarrer, einen Fischer, die Fähre oder einen Mechaniker.
Bjoerner, alarmiert durch das Gekläff der Wachhunde, erschien auf der Veranda. Er hielt die Hände in den Taschen seiner Reithose.
Auf einer Koppel hinter dem Herrenhaus weideten Pferde und verrieten, welchem Sport sich Bjoerner in seiner reichlich bemessenen Freizeit widmete.
Landwirtschaft betrieb er schon lange nicht mehr. Der Boden gab nicht genug her, um den Kalkulationsrechnungen moderner Betriebe genügen zu können. Außerdem fehlten die Arbeitskräfte.
Bjoerner hatte das ihm gehörende Land entweder verkommen lassen oder in Weiden umgewandelt. Er machte etwas Heu, um seine Pferde über den Winter zu bringen, und pflanzte kaum mehr als zwei Morgen Weizen und Hafer an. Er hielt ein paar Hühner. Sie waren vor ihm sicher. Er aß kein Fleisch. Er lebte von Fisch, Eierspeisen und Früchten, Gemüse und Kartoffeln.
Der Mann mochte gut zwei Meter groß sein, war hager und für sein Alter noch ziemlich sportlich. Seine stechenden Augen blickten wachsam in die Welt; und mit gewisser Härte, die daher rührte, daß er manchen Nackenschlag eingesteckt hatte.
»Was führt Sie zu mir?« fragte Sven Bjoerner.
Zamorra glaubte, bemerkt zu haben, als hätte es in den Augen des Mannes aufgeblitzt. Doch das konnte auch das Spiel von Licht und Schatten unter dem Verandadach gewesen sein.
»Sie wohnen zwar ziemlich isoliert hier draußen«, meinte Zamorra, »aber ich könnte mir vorstellen, daß Sie trotzdem das eine oder andere beobachtet haben. Sie wohnen dichter am Dünengebiet als jeder andere auf dieser Insel.«
»Dies ist das letzte Haus im Norden«, bestätigte Sven Bjoerner. »Macht mich das sehr verdächtig?«
Jerup lächelte ungläubig. Er konnte sich nicht vorstellen, daß jemand, der wirklich schuldig war, den Verdacht förmlich auf sich zog.
Zamorra lächelte. Er ließ sich niemals überrumpeln.
»Kommen Sie doch herein!« bat der Gutsherr.
Sie folgten Bjoerner in das Wohnzimmer.
Die Möbel stammten aus dem vorigen Jahrhundert und waren aus massiver Eiche gefertigt. Eine Zinnsammlung aus dem sechzehnten Jahrhundert bewies, daß Bjoerner auch an materiellen Dingen Interesse hatte und fest mit seiner dänischen Heimat verwurzelt war.
Sie setzten sich an den runden Tisch.
Es herrschte eigentlich mehr die Herzlichkeit einer geschäftlichen Besprechung. Beide Seiten belauerten sich. Niemand wollte sich eine Blöße geben.
Daran änderte sich auch nichts, als Bjoerner einen ausgezeichneten Wein kredenzte, einen Gewürztraminer.
Zamorra hätte eher erwartet, von diesem sonderbaren Heiligen und Vegetarier zu einem Glas Karottensaft eingeladen zu werden.
»Mein einziges Laster«, lächelte Bjoerner verkniffen, während er fachmännisch den Korken herausholte und einschenkte.
»Ich habe gehört, Sie hätten einen recht interessanten Diener?« klopfte Zamorra auf den Busch, nachdem sie sich zugetrunken hatten.
»Ach, Sie meinen Rik Sung, den Koreaner?« lächelte Bjoerner. »Er ist allerdings ein Wundermann. Ein Meister in Karate und Kendo. Das erstere wird Ihnen bekannt sein. Vielleicht beherrschen Sie es selbst. Beim letzteren handelt es sich um die ostasiatische Kunst des Stockfechtens.«
»Es wurde von Mönchen entwickelt, die bei ihren Wanderungen über Land immer wieder von Räubern und Wegelagerern belästigt wurden, sich aber nicht mit Waffen ausrüsten
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