0121 - Horror-Urlaub
deutlich näher, die tieferes Wasser brauchten und sich weiter von der Küste hielten.
Ruhe und Einsamkeit wurden erdrückend.
Wie ein Kork im Ozean trieb Nicole Duval dahin.
Seitlich von ihr löste sich ein flaches Rennboot vom Strand. Der rote Flitzer zischte heran. Irgendwo, weit draußen, mußten sich die beiden Linien kreuzen, wenn Boot und Schwimmerin den gleichen Kurs beibehielten. Und es sah nicht so aus, als würde Nicole Duval es sich anders überlegen.
Sie zeigte bereits deutlich Wirkung. Ihre Schwimmzüge brachten sie nicht mehr so schnell vorwärts. Ihr Körper war unterkühlt. Die Lippen färbten sich blau. Sie fror. Aber die Alarmmeldung drang nicht bis in ihr Hirn. Das Bewußtsein schien blockiert oder völlig ausgefallen. Logisches Denken gelang nicht mehr.
Irgendwann konnte Nicole Duval nicht mehr. Noch immer von dem unbändigen Willen beseelt, weiter hinauszurudern, strampelte sie sich ab. Aber Beine und Arme versagten einfach den Dienst, bewegten sich nur noch in Zeitlupe durch das grünliche Wasser. Der Körper versank.
Nicole Duval versuchte nicht einmal, um Hilfe zu schreien. Sie ging einfach unter. Dann wurde ihr schwarz vor Augen. Einen Sekundenbruchteil glaubte sie, das hänge damit zusammen, daß sie tiefer sank. Je weiter sie sich von der Sonne entfernte, desto dunkler mußte das Wasser werden. Erst schiefergrau, dann schwarz wie Tusche.
In Wirklichkeit erstarben alle Bilder, weil Nicole Duval das Bewußtsein verlor.
Leicht wie eine Feder löste sie sich von allem, was sie bislang bewegt hatte, und trieb unter der Meeresoberfläche dahin in Bewegungen, die ihr in den letzten Sekunden ihres Bewußtseins erschienen wie ein Tanz.
Als sie erwachte, mußte sie erst lange nachdenken, um rekonstruieren zu können wie sie in diese Lage geraten war.
Nicole Duval trug noch immer den Bikini und fror erbärmlich. Sie lag gefesselt auf einem Feldbett. Die Decke war von ihren Schultern geglitten, lag zusammengeknüllt am Fußende des harten Lagers. Undeutliches Licht fiel von rechts ein. Es gelangte durch eine Dachluke ins Innere des Speichers, auf dem Nicole Duval gelandet war.
Wer hatte sie an diesen Ort gebracht?
Vergeblich versuchte sie, sich zu erheben. Solide Stahlbänder umschlossen Hand- und Fußgelenke.
Sie betrachtete die Dachpfannen über sich und die staubigen Balken. Kein Geräusch drang an ihr Ohr.
Allerlei Gerümpel stand herum. Darunter ein geflochtener Weidenkorb, dessen Deckel aufgeklappt war. Frauenkleider quollen heraus. Ein verstaubter schwarzer Schuh lag daneben. Wem immer diese Sachen gehörten - er brauchte sie ganz sicher nicht mehr.
Nicole Duval kannte niemanden, der so schlampig mit Dingen umging, die eine Menge Geld gekostet haben mußten. Es waren ein paar Modellkleider dabei, die nicht billig gewesen sein konnten. Sie entsprachen der Mode vor etwa fünf Jahren.
Bestimmt war die Frau, die diese Kleider getragen hatte, tot.
Nicole Duval schaute sich aufmerksam um.
Sie wunderte sich, daß es kein Wasser gab, keinen Proviant. Wann würden die Wächter kommen, um sie zu füttern?
Nicole Duval ging davon aus, jemand, der ein Mädchen entführt hat, mußte auch dafür sorgen, daß es satt wird. Sie wartete gespannt darauf, daß sich jemand um sie kümmerte. Und sie erhoffte sich Hinweise auf den, der sie gekidnappt hatte oder dahintersteckte.
Aber nichts geschah.
Bei Nicole Duval meldete sich jetzt wirklich nagender Hunger. Sie rief. Aber sie erhielt keine Antwort. Nichts rührte sich in dem alten Bauernhaus - oder wo immer sie gefangengehalten wurde.
Unruhig warf sie sich hin und her.
Nachdem sie jeden Winkel in ihrem Blickfeld begutachtet und gemustert hatte, ohne etwas Aufregendes zu entdecken, baute sie eine Brücke, wie sie es bei Ringern gesehen hatte.
So konnte sie auf das schauen, was hinter ihr, an ihrem Kopfende, lag. Es war kein sehr ermutigendes Bild.
Nicole Duval ließ sich wieder auf den Rücken fallen. Sie hatte nicht geschrien, dennoch war sie schockiert.
Sie befand sich nicht allein auf dem Speicher, sondern hatte eine Nachbarin. Allerdings keine Person, die ihr Gefallen finden konnte.
Auf einem ähnlichen Feldbett lag eine Frau, die nur noch eine Mumie war. Ihre Knöchel umschlossen die gleichen kurzen Ketten mit dçn beiden Stahlmanschetten, wie auch Nicole sie trug.
Die Frau mußte hier oben verhungert sein. Und niemand hatte ihre Hilferufe gehört.
War es die Frau, deren Kleider Nicole Duval in dem Weidenkorb gesehen hatte? Wann
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