0121 - Horror-Urlaub
Abendbrottisch. In den Ferienbungalows flammten die Lichter auf. Autos rumpelten entfernt auf Schotterwegen vorbei. Marion Theben bekam sie nicht zu Gesicht, aber sie hörte das Brummen der Motoren.
Der Mann schien sich genau auszukennen. Er nutzte das Gelände meisterhaft für seine verbrecherischen Zwecke, führte sein Opfer von Deckung zu Deckung. Mal schützte sie ein Hohlweg gegen ungebetene Sicht, mal ein Getreidefeld oder eine Hecke.
Und plötzlich erkannte Marion Theben, wo dieser ungewöhnliche Spaziergang enden sollte. Immer einsamer wurde die Gegend. Die freundlich wirkenden Lichter menschlicher Behausungen blieben zurück. Die Landschaft änderte ihr Aussehen.
Marion Theben sah endlose Heideflächen.
Sie gingen in den Norden, in das Gebiet, das Marion Theben gleich nach der Ankunft fast zum Verhängnis geworden wäre.
»Nein!« sträubte sie sich. »Ich gehe nicht weiter!«
Der Mann hinter ihr lachte drohend, versetzte ihr einen Stoß. Aber Marion Theben ließ sich zu Boden fallen.
»Und wenn Sie mich umbringen, ich gehe keinen Schritt weiter!« wimmerte die Lehrerin.
Der Maskierte zog ein Messer, das er im Gürtel unter der Pelerine trug. Es war ein Flammendolch. Die Waffe war stark gebogen; eine Arbeit, die wohl aus Asien stammte, wie der Löwenkopf und die Rubinaugen verrieten. Die Scheide war mit rotem Samt verkleidet.
»Vorwärts!« befahl der Unheimliche.
Er packte die Frau an den Haaren und zerrte sie hoch. Dann setzte er den Dolch an ihre Kehle.
»Wenn ich nicht anderes mit dir vorhätte, würde ich dich hier und auf der Stelle töten«, zischte der Mann mit dem Dreispitz und verstärkte den Druck der Klinge.
»Was habe ich Ihnen getan?« jammerte Marion Theben zitternd.
»Nichts. Deine bloße Existenz ist bereits eine Herausforderung«, fauchte der Maskierte.
Er versetzte der jungen Frau einen Tritt, zwang sie weiterzumarschieren, Erschöpft und am Rande ihrer Nervenkraft taumelte Marion Theben über die Heide. Die Sonne versank gerade am Horizont, der in Flammen zu stehen schien.
In der Feme ragte das Hünengrab auf.
Sie näherten sich dem spitzkegeligen Buckel.
Böse Erinnerungen erwachten in Marion Theben.
Sie dachte an den Schrumpfkopf und an die Frau ohne Arme. Würde dieser Mensch auch sie zerfleischen und verstümmeln? Auf welchen unbekannten Altären gedachte er sie zu opfern? Welche satanischen Messen wollte er feiern, während er sich an ihrer Qual weidete?
In der Feme heulte ein Hund auf einem Bauernhof. Der schaurige Schrei fegte über das ebene Land, auf dem nur ein paar sturmzerzauste Bäume überlebt hatten. Sie unterbrachen das Einerlei des Heidekrauts und belebten dessen Braun mit dem Grün ihrer Blätter.
»Lassen Sie mich doch gehen!« bettelte Marion Theben fast wahnsinnig vor Angst. »Ich verrate kein Sterbenswörtchen!«
»Sicher nicht!« knurrte ihr unheimlicher Begleiter, der sich jetzt damit begnügte hinter der gefesselten Lehrerin herzugehen. Er hatte seinen Dolch inzwischen weggesteckt. Wohin sollte die Gefangene hier schon fliehen? Wo fand sie ein brauchbares Versteck? Hier gab es kein Entkommen. Längst hatten sie die unsichtbare Grenze überschritten. In diesem Teil der Insel herrschte unbestritten der Mann mit dem Dreispitz, der Frauen jagte und tötete, von denen man bislang immer angenommen hatte, sie wären ertrunken. So geschickt hatte der Täter falsche Spuren gelegt. Für einen simplen Dorfpolizisten genügte es jedenfalls allemal. Wäre nur dieser verdammte Holger Jerup nicht aufmerksam geworden. Wieso steckte er seine Nase in diese Angelegenheit? Warum hatte er Unterstützung aus Frankreich geholt, diesen Professor Zamorra?
Ich werde ihn mir holen, dachte der Mann mit dem Dreispitz, er soll büßen. Und den Professor hebe ich mir zum Schluß auf.
Sie liefen in die Dünen hinein.
Zwischen hohen Sandbergen lag ein schmaler, windgeschützter Hohlweg, der an den Rändern mit hartstengeligem Gras bewachsen war.
In dieses Versteck trieb der Maskierte das Opfer.
Marion Theben prallte zurück.
In der Nische flackerten sieben schwarze Kerzen. Eine mumifizierte Hand baumelte von einer verdorrten Wurzel. Der Schrumpfkopf steckte auf seinem Pfahl. Das Licht brach sich in seinen erloschenen Augen. Es sah aus, als grinse die scheußliche Reliquie höhnisch.
Marion Theben sank wimmernd in die Knie.
Sie hatte vier Pflöcke erkannte, die im Boden steckten. Jeder war mit einer Drahtschlinge versehen.
Die junge Lehrerin mußte sich auf den
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