Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0121 - Ich suche Jerry Cotton

0121 - Ich suche Jerry Cotton

Titel: 0121 - Ich suche Jerry Cotton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Werner Höber
Vom Netzwerk:
zählen.
    Ich versuchte es, aber in meinem Kopf ging alles durcheinander. Waren es vier Tage, fünf, eine ganze Woche oder schon zwei?
    Egal. Was war eine halbe Ewigkeit. Und kein Mensch wäre imstande, Jerry so lange festzuhalten — wenn er noch lebte.
    Das war der springende Punkt. In meinem Innern wehrte sich noch irgendwie eine schwache Stimme. Irgendwo gab es immer einen Punkt in mir, wo der Gedanke, Jerry müsse tot sein, nie Einlaß fand. Aber in meinem Kopf setzte sich die Giftschlange Verzweiflung durch.
    Mach es dir endlich klar, alter Narr, sagte sie, sieh es endlich ein! Oder hast du geglaubt, es werde einmal ein anderes Ende nehmen? Hast du gedacht, er wäre unverwundbar? Tausendmal Glück gehabt, und schon bildet ihr euch ein, euch könnte ja gar nichts passieren.
    Ich raste wie ein Verrückter über die zum Glück wenig befahrene Straße. Aber der Wagen tat mir den Gefallen nicht. Er rutschte nicht weg, er kam nicht ins Schleudern. Er brachte mich gesund nach New York.
    Als ich im Distriktgebäude ausstieg, sah ich in Mister Highs Zimmer noch Licht brennen. Dabei mußte es drei oder vier Uhr morgens sein.
    Ich wollte erst zu ihm, aber dann überlegte ich es mir wieder.
    Was sollte ich ihm sagen?
    Daß meine Nase eben doch nichts taugte? Daß von Jerry noch immer nicht der Schimmer einer Spur zu sehen war? Daß ich es überhaupt leid war? Daß ich mich am liebsten in eine Schießerei gestürzt hätte, und auch das am liebsten mit einem Mann, von dem feststand, daß er dreimal schneller und viermal besser zielen konnte als ich?
    Ich ging in den Schlafraum für den Bereitschaftsdienst. Dort gibt es genug Feldbetten, wo ein müder G-man seinen Kopf betten kann.
    Ich tappte auf Zehenspitzen hinein, um die anderen von der Bereitschaft in ihrem knappen Schlaf nicht zu stören. Leise legte ich mich auf ein Bett, schloß die Augen und - konnte nicht einschlafen.
    Am nächsten Morgen stand ich auf, fuhr hinauf in die Kantine, holte mir ein Kännchen Mokka und setzt mich in eine Ecke.
    Ein paarmal war es mir, als ob jemand meinen Namen gerufen hätte, aber ich war nicht sicher. Aber einmal vernahm mein Unterbewußtsein, wie am Nebentisch jemand laut sagte:
    »Laß ihn doch in Ruhe! Du siehst doch, daß er fertig ist!«
    Ich hörte den Satz - und ich hörte ihn nicht. Jedenfalls löste er keine Reaktion in mir aus.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so in der Kantine herumhockte.
    Aus meinem dumpfen Brüten fand ich erst zurück in die Wirklichkeit, als von einer schlanken, feingliedrigen Hand plötzlich ein Wasserglas voll Whisky in meinen Gesichtskreis geschoben wurde.
    Ich hob langsam den Kopf.
    Das freundliche, kluge, feine Gesicht kannte ich doch? Ach ja, Mister High. Ich versuchte zu grinsen.
    »Hallo, Chef!«
    Meine Stimme klang heiser. Vielleicht hatte ich mich unterwegs in der kühlen Nacht ein bißchen erkältet.
    Er lächelte, ganz leise, kaum sichtbar. Aber ich sah es doch, denn ich kannte ihn, wie ich meinen Vater kannte.
    »Hallo, Phil«, sagte er leise.
    Eine Weile war es still. Irgendwo klapperten ein paar Teller. Aber die Kantine war leer. Es fiel mir erst jetzt auf.
    »Mögen Sie keinen Whisky mehr?« fragte der Chef auf einmal.
    Ich senkte den Kopf und sah den Whisky wieder vor mir.
    Jerry, dachte etwas dumpf in mir. Jerry, wie oft habe ich eigentlich mit dir Whisky getrunken?
    In meinem Kopf tanzte eine Whiskyflasche, groß wie eine Sauerstoffflasche, immer um Jerrys Gesicht herum, das ich wie in einer Großaufnahme sah.
    Ich stand auf und fuhr einmal mit der Hand über den Tisch.
    Das volle Whiskyglas schwappte durch die Luft, knallte gegen das Bein des nächsten Tisches und zerbrach auf dem Boden. Der Geruch von Whisky stieg empor, aber ich merkte es nur halb.
    Mit einem kräftigen Stoß trat ich die Tür der Kantine auf und ging hinaus.
    Kollegen standen rechts und links im Gang. Ich sah ihre Gesichter wie Schemen durch einen dünnen Schleier.
    Niemand sprach mich an.
    Ich stieg in den Lift.
    Ich fuhr in den Keller.
    Im Zellentrakt kam mir der Kollege vom Dienst entgegen.
    Er stutzte, als er mich sah, sah mich noch einmal an und fragte:
    »Mensch, Phil, was ist denn mit dir los? Du bist ja weiß wie eine Kalkwand!«
    »Bring mich zu dem Kerl, der Marry Crossway getötet hat«, sagte eine Stimme aus meinem Mund, die nicht meine wirkliche Stimme war.
    »Zu Jackson? Robby Jackson?«
    »Ja, so heißt er wohl.«
    Mein Kollege zögerte, dann ging er vor mir her durch den langen Gang mit den Zellen

Weitere Kostenlose Bücher