0122 - Nachts, wenn der Todesbote kommt ...
grotesk verwandelten Toten fand, würde der Verdacht sofort auf ihn fallen. Noch konnte niemand über ihn Bescheid wissen. Dann jedoch…
Luke Giordano hatte nicht gewagt, das Haus durch den offiziellen Eingang zu betreten. In einem so großen Haus lebten die Bewohner zwar weitgehend im Schutze der Anonymität. Aber es gab doch einige, die ihn ohne jeden Zweifel wiedererkennen würden. Und das mußte er unter allen Umständen vermeiden. Schon allein um seiner Tochter willen.
Roberta…
Sie war der einzige Grund, aus dem er hergekommen war. Er mußte sie Wiedersehen, mußte mit ihr sprechen. Gleichzeitig aber fürchtete er die Begegnung mit ihr auch. Sie würde es kaum verwinden können, daß er ein Gangster gewesen war. Wie würde sie dann erst reagieren, wenn sie erfuhr, was er jetzt war? Trotzdem - er mußte zu ihr! Alles, was noch menschlich in ihm war, verlangte danach.
Giordano war durch die Tiefgarage in das Apartmenthaus gekommen. Um diese Zeit, früher Nachmittag, befanden sich die meisten Bewohner noch an ihren Arbeitsstätten. Viele Abstellplätze, auf denen sich sonst die Fahrzeuge drängten, waren unbesetzt. Kein Mensch ließ sich blicken.
Dennoch blieb Luke Giordano vorsichtig. Jede sich bietende Deckung - Stützpfeiler, parkende Wagen, Wandnischen - ausnutzend, huschte er durch das Parkgeschoß. Sein Ziel war das Treppenhaus.
Wie in vielen Hochbauten wurde dieses auch hier praktisch nie benutzt. Es standen drei Aufzugsanlagen zur Verfügung. Kein Mensch dachte daran, den beschwerlichen Weg über die Treppen zu nehmen. Diesen Umstand wollte sich Giordano zunutze machen. Seine Wohnung lag im fünfzehnten Stockwerk. Die Chancen, daß er ungesehen nach oben gelangen konnte, standen gut.
Als er die schwere Eisentür, die zum Treppenaufgang führte, schon fast erreicht hatte, kam doch noch jemand. Einer der Aufzüge spuckte zwei Personen aus, einen jüngeren Mann und ein Mädchen.
Im letzten Augenblick gelang es Luke Giordano noch, hinter einen Betonpfeiler zu springen.
Die beiden Menschen hatten ihn nicht bemerkt. Lachend und sich laut unterhaltend steuerten sie auf eine Reihe geparkter Wagen zu. Ihr Weg würde sie nur in wenigen Yards Entfernung an dem Pfeiler vorbeiführen, hinter dem Giordano stand.
Der Mann, der zum zweiten Mal lebte, spürte, wie der Hunger in ihm wuchs. Wenn er den beiden jetzt entgegentrat, hatten sie keine Möglichkeit, ihm zu entkommen. Er konnte ihre Lebensenergien aufsaugen wie ein trockener Schwamm das Wasser und sie als leblose Hüllen zurücklassen.
Ein paar Schritte nur noch waren sie jetzt entfernt. Giordano sah sie nicht, aber er konnte sie hören.
Sekundenlang führte er einen schweren Kampf mit sich selbst. Dann gelang es ihm, sich selbst zu besiegen. Er brachte seine Gier unter Kontrolle.
Die beiden jungen Leute passierten den Pfeiler. Wenig später waren sie in einen Wagen gestiegen. Der Motor brummte auf, und das Fahrzeug rollte die schneckenförmig angelegte Auffahrt der Tiefgarage hoch.
Luke Giordano war wieder allein. Als die Geräusche des davonfahrenden Wagens verklangen, löste er sich von dem Stützpfeiler und eilte zu der Eisentür. Kurz darauf war er im Treppenhaus und stieg die Stufen empor.
Er befand sich zwischen dem fünften und sechsten Stockwerk, als es dann passierte.
Schritte…
Es kam ihm jemand entgegen!
Giordano überlegte noch, wo er sich verstecken konnte. Da aber tauchte der Mann bereits in seinem Blickfeld auf. Giordano erkannte ihn sofort: Merril, einer der Leute von der Hausverwaltung, zuständig für flackernde Neonröhren, quietschende Türen und ähnliche Ärgernisse.
Instinktiv zog Giordano seinen Hut noch tiefer in die Stirn, um das Satansmal auf seiner Stirn nicht sichtbar werden zu lassen. Zurück konnte er jetzt nicht mehr. Und eigentlich wollte er es auch nicht. Nur noch ein paar Stockwerke von Roberta entfernt war er nicht bereit, sich vertreiben zu lassen.
Den Kopf nach vorne gebeugt wollte er einfach an Merril Vorbeigehen. Aber der Hausmeister war offenbar bereits mißtrauisch geworden. Vermutlich fand er es ungewöhnlich, daß ihm hier jemand begegnete, wo normalerweise niemand ging. Er verstellte Giordano den Weg.
»Was suchen Sie hier, Mister?«
Giordano murmelte etwas Unverständliches, womit sich Merril allerdings nicht zufriedengab. Er gab den Weg nicht frei, stand da wie ein General auf dem Kommandostand.
»Ich habe nicht verstanden, was Sie gesagt haben, Mister«, blieb er hartnäckig. »Ich würde
Weitere Kostenlose Bücher