0124 - Die Mörder-Blumen
dir was auf?« fragte Suko.
»Ja, ich höre erstens ein Rauschen, das auf die Nähe von Wasser schließen läßt, und zweitens kommen mir die Felsen vor wie versteinerte Blumen.«
»Genau.«
Wir gingen näher heran.
Nicht nur das Rauschen war zu vernehmen, sondern auch ein eigentümliches Singen. Es klang hell und summte in unseren Ohren.
Wer waren diese Sänger?
Der Chinese wies nach vorn auf die Felsen. Sie standen unregelmäßig nebeneinander, und beide sahen wir die geheimnisvollen Eingänge mannshoher Höhlen.
»Ein versteinerter Garten«, murmelte Suko. »Sehen wir ihn uns an?«
Ich war dafür. Wir kamen allerdings nicht dazu, den Plan in die Tat umzusetzen, denn aus einem der Höhleneingänge lösten sich drei Gestalten.
Zwei Frauen und ein Kind.
Letzteres war die kleine Julie!
***
Der Bürgermeister hatte einen Baumstumpf gefunden, der als Wachtplatz sehr günstig stand. Von dieser Stelle aus konnte Rodney Fuller das Tor im Felsen beobachten, ohne selbst gleich gesehen zu werden. Die niederbiegenden Zweige einer großen Fichte verdeckten sein Gesicht.
Von dem Oberinspektor und dem Chinesen war nichts mehr zu sehen. Als dieser Sinclair das Tor öffnete, hatte Fuller durch den Spalt einen Blick werfen können, jedoch nichts gesehen, außer einer grauschimmernden Fläche.
Darüber dachte er nach. Was mochte das sein? Eine Wand oder eine weitere Tür?
Wie dem auch sei. Er würde es nie erfahren, denn er hatte zu große Angst, das Tor zu öffnen und die dahinter liegende geheimnisvolle Welt zu betreten.
Denn dort – das sagte die Sage –, wuchsen die mordenden Blumen. Die Vampir-Blumen, die nur auf die ahnungslosen Opfer lauerten, um ihnen den Lebenssaft zu rauben.
Bei diesem Gedanken schüttelte Fuller sich. Er hoffte inständig, daß der kleinen Julie nichts Ähnliches zustieß. Wenn ja, würde er durchdrehen.
Er lauschte auf die Geräusche des Waldes. Seltsam still war es.
Die unmittelbare Umgebung der geheimnisvollen Tür im Felsen schien auch die Tiere abzuschrecken. Fuller sah nur Kriechtiere über den mit Humus bedeckten Boden krabbeln.
Seine Flinte hielt er nicht mehr versteckt. Er hatte sich das alte Erbstück über seine Oberschenkel gelegt. Wenn jemand auftauchte, war er bereit, die Waffe hochzureißen und sofort abzudrücken.
Zwei Läufe hatte das Gewehr. Zwei verkürzte, mit Silberschrot geladene Läufe.
Fuller fühlte in der rechten Tasche die Blechschachtel mit den Zigarillos. Die Sucht, ein Zigarillo zu rauchen, wurde immer stärker, doch er beherrschte sich.
Die Zeit verging.
Fuller verfiel in dumpfes Grübeln, aus dem er hin und wieder aufschreckte, um nach verdächtigen Geräuschen zu lauschen. Er beobachtete auch argwöhnisch die aus dem Boden wachsenden Blumen, die wie Fremdkörper innerhalb des Waldes wirkten.
Sie rührten sich nicht. Manchmal nur bewegten sie ihre Zweige, als würde ein unsichtbarer Dirigent seinen Takt nach einer unhörbaren Musik schlagen.
Als Fuller das linke Bein einschlief, stieß er eine Verwünschung aus. Er stand auf und ging ein paar Schritte, um den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen. In seinem Fuß kribbelte es, als wären unzählige Ameisen am Werk.
Der Bürgermeister drehte jetzt seine Runden. Dabei passierte er jedesmal die Sonnenblume, die ihre breite Blüte nach vorn geneigt hielt. Viermal ging alles gut.
Beim fünftenmal blieb Fuller dicht neben der Blume stehen, da eine Mücke auf seiner linken Wange hockte und er sie verscheuchen wollte.
Der Bürgermeister hielt sich genau eine Sekunde zu lange unterhalb der Blume auf.
Die Blüte kippte nach vorn, der lange Stiel bog sich dabei durch, und die kleinen, oben wie Pfeile spitz zulaufenden Blätter faßten in Fullers Haar.
Sofort griffen sie zu.
Plötzlich waren sie nicht mehr weich und nachgiebig, sondern hart wie Metall.
Fuller schrie auf.
Die Blüte riß und zerrte an seinen Haaren, und der Bürgermeister wand sich in deren Griff. Er ging in die Knie, nahm die Waffe in beide Hände und führte sie in einen wuchtigen Rundschlag.
Der Lauf donnerte gegen den Stengel der Sonnenblume, bog ihn durch, federte aber wieder zurück. Fuller hatte Glück, daß er nicht getroffen wurde.
Er schlug ein zweitesmal, während die Blüten nach wie vor in seinen Haaren wühlten.
Der Schmerz explodierte in seinem Kopf. Fuller wurde fast bewußtlos. Dicht davor fiel ihm ein, daß die Flinte mit geweihtem Schrot geladen war.
Vielleicht nutzte es was.
Er riß sich noch einmal zusammen,
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