0124 - Wir entrissen den Raubtieren ihr Opfer
kam, aber darüber zu streiten, war sinnlos und führte zu nichts.
»Ich sehe nur eine Möglichkeit, und die ist, dass alle Beteiligten sich zusammensetzen. Ich werde Sie morgen früh zu Stephanie Bliss bringen, und von dort werden wir alle zu Ihrem Vater fahren.«
»Nein, das tue ich nicht. Daddy ist zum zweitenmal verheiratet, und ich habe gehört, dass er unterm Pantoffel stehe. Es ist klar, dass die Frau mich nicht liebt und mich hinauswerfen wird. Zu Stephanie gehe ich gerne mit, aber nicht zu meinem Vater.«
Ich verstand das und nahm mir vor, zuerst einmal mit dem alten Herrn zu reden. Der Eindruck, den ich von seiner Tochter erhielt, war viel besser, als ich vorausgesehen hatte.
»Ich will Ihnen jetzt einen Vorschlag machen. Ich bringe Sie in ein vernünftiges Hotel und gebe Ihnen zum Schutz und damit Sie mir nicht ausrückt, eine Beamtin in Zivil mit. Um zehn Uhr werde ich Sie abholen. Dann fahren wir zu Ihrer Freundin Stephanie. Ich bitte mir aber aus, dass Sie sich vertragen. Schuld an der ganzen Sache sind jedenfalls Sie, das wissen Sie ja.«
Zuerst wusste Pat nicht, ob sie ja oder nein sagen sollte. Die jetzige Situation war ihr vollkommen fremd. Wir holten uns eine vernünftige, nette Beamtin, packten beide in den Wagen und setzten sie vor dem City Hotel ab. Pats Begleiterin schärfte ich ein, unbedingt ein Doppelzimmer zu nehmen und aufzupassen. Ich traute dem schwarzen Teufel zu, dass Sie versuchte, sich heimlich still und leise zu verdrücken.
Dann saßen Phil und ich noch mehrere Stunden zusammen und zerbrachen uns den Kopf darüber, wer nun wirklich der Mörder sein könnte, und wo Jimmy wohl stecken mochte. Die Hoffnung, den Jungen lebend wiederzusehen, schwand immer mehr.
***
Um halb zehn am Morgen holten wir Pat im City Hotel ab. Unsere Sorge war unbegründet gewesen. Sie hatte keinen Versuch gemacht, auszureißen. Ich verzichtete darauf Stephanie Bliss vorher zu benachrichtigen. Pat zitterte vor Aufregung, als sie vor der Tür stand. Stephanie öffnete selbst. Die beiden jungen Frauen starrten sich gegenseitig an wie ein Gespenst das andere.
Ich hatte gefürchtet, sie würden sich in die Haare fahren, aber genau das Gegenteil geschah. Sie fielen sich einfach um den Hals und heulten vor Rührung wie die Schlosshunde. Alle Feindschaft, alle gegenseitigen Vorwürfe waren plötzlich vergessen. Es hieß nur noch Pat Darling und Stephanie Sweetheart.
Als dann die allgemeine Rührung abgeebbt war, versuchte ich, vernünftig mit den beiden zu reden. Es ging mir in der Hauptsache darum, das Kind zu finden. Wenn wir den Entführer hatten, so hatten wir auch den Mörder.
»Versetzen wir uns einmal in die Lage von Sylvia Long«, meinte Phil. »Ich bin davon überzeugt, dass jemand anders ihr den Jungen zur Aufbewahrung übergeben hatte, sie selbst dann aber Kapital daraus schlagen wollte. Dieser Gedanke muss ihr ganz plötzlich gekommen sein. Sie schaffte Jimmy also weg und schrieb die beiden Erpresserbriefe.«
»Das ist alles ganz gut und schön«, warf ich ein. »Aber wohin brachte sie ihn?«
»Wenn ich diese Frau gewesen wäre«, sagte Pat leise wie zu sich selbst. »Wenn ich sie gewesen wäre, ich hätte den Jungen unter einem falschen Namen in ein Privatkinderheim oder ein Kinderhotel gegeben. Ich kann mir nicht denken, dass sie jemanden hatte, dem sie die Wahrheit anvertrauen konnte. Sie hatte mit höchster Wahrscheinlichkeit einen anderen getäuscht oder wollte ihn täuschen. Sie musste also voraussetzen, dass ihr dasselbe geschehen könne. Es blieb ihr nur ein Kinderheim übrig.«
»Es gibt eine Unmenge von Kinderheimen in New York«, entgegnete Stephanie. »Wo, um Gottes willen, sollen wir da suchen?«
»Wenn wir schon in dieser Hinsicht nachforschen wollen, und der Gedanke scheint mir gar nicht so schlecht zu sein«, sagte Phil, »so wäre ich dafür, die Gegend in der Nähe der Crotona Avenue, wo sie wohnte, vorzunehmen. Wir können außerdem sämtliche Polizeistationen veranlassen, in ihren Bezirken dasselbe zu tun. Innerhalb von 24 Stunden wissen wir dann, ob wir richtig getippt haben.«
»Und ich wäre dafür, nochmals in der Crotona Avenue 203 zu stöbern, obwohl der Freund der Long das schon erledigt hat. Ich möchte übrigens verflixt gern wissen, wer der Bursche ist.«
Wir brachen auf. Zwar würde das Haus wahrscheinlich verschlossen sein, aber das machte uns keine Sorgen.
Leider war die Haussuchung erfolglos. Wir drehten buchstäblich jedes Steinchen und jedes Papierchen
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