0125 - Wir stutzten ihm die Krallen
Gründe dar. Die ausgetrunkene Whiskyflasche, der Zigarettenqualm, der noch in der Luft hing, der Zeichenblock, der vorher nicht auf dem Tisch neben der Couch gelegen hatte.
»Gestern Abend glaubte ich noch daran, dass Johnny in der Zwischenzeit zwischen unseren beiden Besuchen mit einer Dame in seinem Zimmer gewesen wäre. Daran glaube ich nicht mehr. Dann wäre er doch irgendwann in der Nacht wieder nach Hause gekommen.«
»Nicht unbedingt, aber man sollte es annehmen«, sagte Mr. High. »Was könnte denn nach Ihrer Meinung sonst passiert sein, Jerry?«
»Chef, Sie wissen, dass wir Johnny für bedroht hielten. Warum soll man nicht den Grund zu unseren Befürchtungen geliefert und Johnny heute Nacht irgendwo ermordet haben? In Chicago wurde auch ein Kunstmaler umgebracht, von dem gleichen Mann, der bei Johnny erschienen war und von ihm gefälschte Skizzen ä la Rembrandt verlangte. Dieses Zusammentreffen zweier ähnlicher Fälle ist doch kein bloßer Zufall.«
Mr. High nickte ernst.
»Sie können recht haben, Jerry. Aber das wollen wir nicht hoffen. Kann Johnny nicht inzwischen von einem ausgedehnten Nachtbummel nach Hause gekommen sein?«
»Dann hätte ich längst einen entsprechenden Anruf erhalten. Ich habe die beiden Beamten ablösen lassen, die Johnny heute Nacht bewachen sollten, und stattdessen nur das leere Atelier bewachen konnten.«
Mr. High stand auf. Er trat ans Fenster und sah auf den Broadway hinab. Ich konnte mir seine Gedanken ungefähr vorstellen. Brockson war erschossen worden, ohne dass wir Anhaltspunkte hatten. Auch Johnny war verschwunden, ohne dass wir Anhaltspunkte hatten. Wir hingen in jeder Hinsicht absolut in der Luft.
»Wie wollen Sie weiter vorgehen, Jerry?«
Ich zuckte die Achseln.
»Viel können wir im Augenblick nicht tun, Chef. Zunächst muss Johnnys Atelierwohnung weiter von uns besetzt gehalten werden. Sollte Johnny aus irgendeinem Grund, der mit der ganzen Fälschungsgeschichte nichts zu tun hat, verschwunden sein, dann könnte sich ein Nachfolger von Brockson bei ihm melden und die nächsten Skizzen abholen wollen. Für diesen Fall müssen sofort Leute von uns bereitstehen. Außerdem habe ich gestern schon ein Fernschreiben nach Chicago hinausgehen und die Akten vom Mordfall dieses Kunstmalers anfordern lassen. Vielleicht gewinnt man aus ihnen irgendeinen Aufschluss. Dann wird die Kugel, mit der Brockson getötet wurde, nach Washington zur genauen Untersuchung geschickt. Das ist alles, was von uns aus in dieser Sache beim augenblicklichen Stand getan werden kann.«
Wir sprachen noch eine Weile weiter und zogen die verschiedensten Theorien in Betracht, aber wir kamen nicht weiter. Kurz nach halb zehn klingelte bei Mr. High das Telefon. Der Chef nahm ab und meldete sich. Er lauschte schweigend.
***
Beim FBI geht jede Anzeige automatisch einen dreifachen Weg. Zunächst wird der Einsatzleiter vom Dienst unterrichtet. Der bestimmt anhand seines Dienstplanes, welche Beamten die Anzeige bearbeiten sollen. Sodann wird der Chef verständigt, der immer über alle anliegenden Fälle unterrichtet sein muss. Das ist keine Chef-Marotte, sondern hat seinen guten Grund. Wenn zum Beispiel zwei oder mehr Personen von ein und dem gleichen Mann erpresst werden, kann es sein, dass ein Opfer morgens um neun Anzeige erstattet, während das zweite sich erst abends gegen sieben dazu entschließen kann. Dann sitzen zwei verschiedene Einsatzleiter an den Fällen und verschiedene Ermittlungsbeamte. Keiner von ihnen wüsste von dem gemeldeten Parallelfall. Da der Chef aber von jedem Fall unterrichtet wird, kann er Parallelfälle und eventuelle Zusammenhänge mit anderen Fällen sofort erkennen.
Diese Grunderfahrung kriminalistischer Arbeit bewährte sich an diesem Tag. Als Mr. High den Hörer wieder auflegte, sagte er: »Ich glaube, Jerry und Phil, in unserem Fall zeichnen sich die nächsten Spuren bereits ab!«
»Hat man Johnny gefunden?«, fragte ich aufgeregt.
»No. Aber eine neue Anzeige ist eingegangen. Von einem gewissen Professor Holder, Columbia Universität. Wenn ich den Namen richtig in der Erinnerung habe, gilt Holder als eine Autorität unter den Kunstsachverständigen. Ermordung von Kunstmalern, bestellen gefälschter Skizzen und Erpressung eines Kunstsachverständigen, das sieht doch zusammengehörig aus, oder wie?«
»Sie brauchen nur noch zu sagen, dass Holder eine besondere Autorität für Rembrandt besäße«, sagte ich, »dann liegt der ganze Zusammenhang bereits auf der
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