0129 - Die Vampir-Lady
immerhin nicht gerade häufig in Westeuropa. Das gehörte mit zur Tarnung; wer sollte schon annehmen, daß russische Spione ausgerechnet mit einem russischen Auto in der Öffentlichkeit durch die Gegend rollten?
Der 2,5-Liter-Motor, der bis zu 110 PS entwickeln konnte, dabei aber mit der Geräuschkulisse eines mittleren Preßlufthammers aufwartete, um den Wagen auf eine Spitzengeschwindigkeit von über 160 Kilometern pro Stunde zu bringen, summte im Leerlauf einigermaßen ruhig. »Wie hat Ihnen Frankreich gefallen, Doktor Unjankin?« fragte der Zollbeamte auf der deutschen Seite, der die Ausweise kontrollierte.
»Kaum etwas von der Landschaft gesehen, ma dorogoi«, brummte der Chefspion. »Zuviel Arbeit, viel zuviel.«
»Vor ein paar Tagen waren Sie doch noch zu viert?« fragte der Beamte. Unjankin nickte schnell. »Unsere Kollegin kommt später nach, sie hat noch etwas zu erledigen. Vielleicht kommt sie morgen oder übermorgen. Der Forscherdrang, Sie verstehen?«
»Der ist bei Ihnen wohl nicht so ausgeprägt«, schmunzelte der Zöllner. Pjotr winkte aus dem Fond des Wagens ab. »Die Genossin Semjonowa schreibt an ihrer Doktorarbeit, daher befaßt sie sich etwas eingehender mit den Dingen als wir anderen.«
»Na dann, gute Fahrt.« lächelte der Beamte.
Der Motor des GAZ 24 wurde lauter, als das Fahrzeug sich wieder in Bewegung setzte. Der Zollbeamte sah dem Wagen nach. »Eines muß man den Russen lassen«, brummte er. »Die können noch Autos bauen, die rosten wenigstens nicht. Wenn ich da an unsere Blechfolien denke…« Etwas sehnsüchtig warf er noch einen Blick auf das verschwindende Fahrzeug, dann kehrte er in das flache Gebäude zurück. Um diese Zeit herrschte kaum Betrieb an der kleinen Grenzstation.
»Geschafft«, stöhnte fast gleichzeitig Boris am Lenkrad des schweren Wagens. »No slawa bogu…«
Der Wagen rollte in Richtung Freiburg. Kurz vor der Stadt befand sich die Autobahnauffahrt, die sie benutzen wollten.
Doch sie schafften es nicht mehr Demi in diesem Augenblick erschienen die Schwarzblütigen…
***
Neben Pjotr Wassilowitsch Antonow auf der Rückbank wurde es plötzlich eng. Der Wolga war zwar als Fünfsitzer konstruiert, nur nahm einer der beiden neu erschienen blinden Passagier allein Platz für zwei Leute ein. Unwillkürlich schrie der Agent leise auf. Er war plötzlich zwischen dem dicken Mann und der Tür eingekeilt und vermochte nicht mehr an seine Waffe zu gelangen.
Ein fetter, untersetzter Albino hockte neben ihm im Wagen!
Und neben diesem eine Frau. Schwarzhaarig, irgendwie unirdisch blaß, nackt…
»Tanja!« entfuhr es ihm. »Bosche moi!«
Im Rückspiegel hatte Boris Werzinsky die Ankömmlinge ebenfalls entdeckt. Zugleich war ein Ruck durch den Wagen gegangen, als das Gewicht der Insassen sich schlagartig erhöhte. Kapitän Unjankin wollte sich umwenden, doch er war zu langsam.
Tanjas plötzlich wachsenden Eckzähne schlugen bereits in den Hals des Chefagenten.
Der entsetzte Fahrer verriß das Lenkrad. Der schwere Wagen brach aus, jagte nach links auf den Straßenrand zu. Im letzten Moment schnellte plötzlich die Hand des Albinos vor, griff ins Lenkrad und zog den Wagen wieder nach rechts. Niemand, nicht einmal Pjotr, hatte dem Dicken eine solche Beweglichkeit zugetraut.
»Ganz ruhig, keine Panik«, drohte der Albino. »Sonst geht es euch wie dem da.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den im Beifahrersitz erschlafften Unjankin, dessen Blut Tanja trank.
»Langsam anhalten«, befahl der Albino und ließ sich wieder zurückfallen.
Da sah Pjotr seine Chance. Als sich Craa Dül nach vorn warf, hatte er für einen Augenblick genug Bewegungsfreiheit besessen, um nach der Pistole zu greifen. Blitzschnell wechselte die Waffe jetzt in die linke Hand hinüber, mit der er im Moment besser hantieren konnte, dann bellte der Schuß auf. Aus nächster Nähe drang die Kugel dem Albino in die Schläfe.
Craa Dül zuckte lediglich zusammen. Das Einschußloch schloß sich innerhalb von Sekundenbruchteilen wieder. Craa Dül grinste, drehte den Kopf um über neunzig Grad, ohne den Oberkörper zu bewegen, und spie die Kugel aus, dem Agenten ins Gesicht.
Da schrie Pjotr nur noch und zerrte an der Türverriegelung.
Der GAZ 24 rollte am Straßenrand aus. Kaum stand er, schnellte sich der Fahrer ins Freie. Pjotr schaffte es im nächsten Moment auch, die Tür aufzureißen und zu fliehen. Hinter ihm zwängte sich der Albino ins Freie, griff zu und erwischte den wimmernden Agenten noch.
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