0137 - Luzifers Ende
Holzpritsche. Sie sah den Alten an, und für Sekunden glaubte sie in ihm eine Ähnlichkeit mit Yann zu erkennen, aber im nächsten Moment schon wußte sie, einer optischen Täuschung erlegen zu sein. Denn Yann war trotz seines Alters das blühende Leben gewesen, dieser Alte mit den Teufelshörnern aber war ein Sterbender. Sein Körper war vom fortschreitenden Zerfall gezeichnet.
Da sah Nicole seine Augen.
Höllenfeuer glomm in ihnen!
»Wer - wer bist du?« fragte sie leise. Die Angst vor dem Unheimlichen schnürte ihr die Kehle ein. Sie war keiner Regung mächtig. Etwas Unsichtbares fesselte sie an die Holzpritsche.
Er kicherte hohl.
»Luzifer?« fragte sie düster. Doch der Alte antwortete nicht. Er hob nur eine seiner spinnenfingrigen Hände und fuhr damit über ihren Körper. Unwillkürlich verkrampften sich ihre sämtlichen Muskeln. Sie wollte aufschreien, aber kein Ton kam über ihre Lippen. Der Alte widerte sie an, die Berührung war ekelerregend.
Er stank!
Wie eine Ziege! Scharfer Dunst stieg ihr in die Nase. Stank so der Herr der Hölle?
Abrupt wandte der Alte sich um und schlurfte davon. Er verließ Nicoles Blickwinkel. Eine Tür wurde zugeschlagen, aber vergeblich wartete sie auf das Zuschnappen eines Riegels. Ihr Entführer hielt es wohl für überflüssig, die Tür zu sichern. Er verließ sich auf sein magisches Können, mit dem er Nicole an die Pritsche gefesselt hatte.
Nicoles Gedanken überschlugen sich. Sie forschte in ihrer Erinnerung nach einer Zauberformel, mit der der Bann zu brechen war. Im Laufe der Zeit hatte sie so einiges an magischen Tricks gelernt, und die Zeiten, in denen sie den übersinnlichen Phänomenen ablehnend und ungläubig gegenüberstand, waren längst vorbei.
Ein Spruch fiel ihr ein, den sie einmal von Zamorra gehört hatte. Sie murmelte die Worte einer ihr fremden Sprache. Doch obwohl sie sicher war, die bannbrechenden Worte richtig artikuliert zu haben, geschah nichts. Offenbar war der magische Einfluß des Gehörnten hier in dieser Grotte übermächtig und erstickte alle Versuche weißer Magie, eine Änderung herbeizuführen. Nicole gab ihren Versuch nach dem dritten Anlauf wieder auf.
Es gab kein Entrinnen.
Doch was hatte der Gehörnte mit ihr vor?
Etwas Gutes konnte es bestimmt nicht sein, und die Angst vor einem grausamen Schicksal fraß sich in ihr Herz.
Ahnte Zamorra, wo sie sich befand?
Er war ihre einzige Hoffnung.
***
Sie hatten den Ort Quiberon auf der Halbinsel durchquert und waren zum weißen Sandstrand gefahren. Hier pfiff der Wind noch schärfer und kälter als auf der Heide. Der Strand war leergefegt. Bei diesem Klima wagte sich kein Mensch ins Wasser. Die Saison hatte noch nicht begonnen, und in diesem Jahr hatte der Winter in Europa lange angehalten. Es war entsetzlich kalt.
Zamorra stieg aus dem Wagen. Er hatte nicht weiter ans Wasser fahren können. Die Räder begannen im Sand zu versinken, und immerhin besaß er kein Geländefahrzeug mit Allradantrieb, sondern einen einfachen Pkw. Damit kam er auf diesem Untergrund keine zehn Meter weiter.
Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch, um sich wenigstens etwas vor dem Wind zu schützen. Da klangen seltsam klagende Töne an sein Ohr. Sie kamen aus einer Bombarde.
Zanfbrras scharfe Augen suchten den Strand ab. Plötzlich sah er den alten Yann einsam auf einem Felsen in der Nähe des Wassers sitzen. Der Alte mit dem runzligen Gesicht spielte auf der Bombarde. Zamorra versuchte die Melodie zu erkennen, doch es gelang ihm nicht.
Langsam ging er auf den Alten zu, dem der Wind nichts auszumachen schien. Als er ihn erreichte, setzte der Alte sein Instrument ab, holte seine vorgestopfte Pfeife aus der Tasche und setzte sie mit einem Fingerschnipsen in Brand.
Zamorras Augen verengten sich. Er hatte nicht genau erkennen können, wie der Alte den Funken erzeugt hatte, doch er hatte weder ein Streichholz noch ein Feuerzeug in seiner Hand verborgen.
»Was tun Sie hier?« fragte Zamorra. »Wer sind Sie wirklich, Yann?«
Der Alte ging nicht darauf ein. Mit einer Hand strich er leicht über die Bombarde, ein Blasinstrument ähnlich der Oboe. »Sie waren bei den Menhiren, marrak Zamorra«, stellte er ruhig fest und behielt dabei wieder die Pfeife zwischen den Zähnen.
Widerwillig nickte Zamorra.
»Sie suchen in der falschen Richtung, marrak«, sagte Yann. »Hier am Meer werden Sie Ihre Gefährtin nie finden, weil sie hier nicht ist.«
Er erhob sich. »Es wird ungemütlich kühl hier, der Wind nimmt an
Weitere Kostenlose Bücher