014 - Das Haus der boesen Puppen
ich wusste, dass er es auch sah, dass ich keiner Halluzination unterlag.
Die Puppe weinte.
Ich brauchte eine Weile, um das Entsetzen abzuschütteln, dann stürzte ich ins Innere des Kaufhauses. Ich war nicht ganz bei Sinnen, denn ich schob Leute aus dem Weg, ohne mich um ihre Proteste zu kümmern, und hastete durch die Etagen, bis ich die Räume der Geschäftsführung fand. Ein Herr mittleren Alters empfing mich dort missbilligend, doch die Bleichheit meines Gesichtes beeindruckte ihn wohl.
Ich wollte die Puppe sehen und sagte es ihm. Natürlich verschwieg ich den wahren Grund. Ich sagte ihm, dass ich einen alten Freund in einer Auslage entdeckt hätte, der seit Jahren verschollen gewesen sei, und dass es mich interessieren würde, welchen Stundenlohn man wohl für einen derartigen Job bekäme.
Er musterte mich einen Moment lang entgeistert, dann platzte er schier vor Lachen. »Oh, ich verstehe, unser neues Muster hat Sie beeindruckt – die ELEVA-Puppe. Das Neueste auf dem Markt. Lässt sich elektronisch bewegen, spricht sogar in der
Luxusausführung, hat echtes Haar und eine bewegliche Haut aus einem neuen Kunststoff. Phantastisch! Wir haben bereits weitere in Auftrag gegeben.«
»ELEVA?« fragte ich benommen.
»Ja, elektronische Schaufensterpuppen. Können für die verschiedensten Aufgaben programmiert werden. Sprechen, Lachen, Tanzen. Das ist besonders bei den weiblichen Modellen von durchschlagender Wirkung. Ein neues Jahrhundert tut sich auf. Keine starren Auslagen mehr. Alles in Bewegung. Perfekt lächelnde Mannequins …«
»Und weinende«, ergänzte ich angewidert.
»Weinende?« fragte er.
Ich berichtete ihm, was ich gesehen hatte. Er hörte nachdenklich zu.
»Vom Weinen stand nichts im Katalog. Wäre wohl auch unnötig. Doch – vielleicht zum Verkauf von Trauerkleidung.«
»Aber Sie wissen, dass es so etwas wie Geschmacklosigkeit gibt?«
Er sah mich überrascht an, dann sagte er kühl: »Ich glaube, das war’s dann, Herr …«
»Wo, sagten Sie, ist diese Firma?«
»Der ELEVA-Konzern hat seinen Sitz in Hamburg, mein Herr. Und jetzt verzeihen Sie. Sie sehen doch, ich habe zu tun.«
Er deutete auf seinen Schreibtisch. Meine Bemerkung über die Geschmacklosigkeit schien ihn in seiner Eitelkeit getroffen zu haben. Es war sicherlich ziemlich aussichtslos, wenn ich meine Bitte wiederholte. So wandte ich mich nickend zum Gehen. In der Tür hielt ich jedoch inne und fragte:
»Wie lange haben Sie diese Puppe schon hier?«
»Zwei Tage«, erklärte er ungeduldig. »Herr Keller ist für die Auslagen verantwortlich. Wenden Sie sich an ihn! Guten Tag.«
Ich dankte ihm und ging. Nach mehreren Fragen gelangte ich schließlich zu Herrn Keller, einem jungen langhaarigen Typ in weißem Arbeitsmantel. Er war freundlich und zeigte sich sehr interessiert, aber er weigerte sich, mich während der Geschäftszeit in die Auslage zu lassen oder die Puppe hereinzuholen. Ich sollte kurz vor Geschäftsschluss, so um sechs, wiederkommen.
Ich musste also mein Rendezvous verschieben. Aber eines war mir inzwischen klar geworden Eddie konnte nicht für diese Puppe Modell gestanden haben, denn er war erst etwas mehr als zwei Tage verschwunden; außer, er hatte es schon früher getan.
Ach, zum Teufel, die ganze Sache war verrückt. Das alles war ein Zufall, nicht mehr.
Ich wollte sie mir jedoch noch einmal ansehen. Die Ähnlichkeit war vielleicht gar nicht so groß, wenn man sie mit kritischem Auge betrachtete.
Ich strebte dem Ausgang zu und verhielt mitten im Schritt.
Durch die großen Scheiben der Glastüren sah ich sie, während mein Herz bis zum Hals schlug. Drei kleine Mädchen. Sie sahen mir nicht entgegen. Sie standen scheinbar ein wenig verloren in dem Gewühl, aber ich erkannte, dass ihre Aufstellung nicht zufällig war. Ich musste an einer von ihnen vorbei, wenn ich hinaus wollte.
Ich machte kehrt und eilte durch die lange Erdgeschoßhalle zurück. Mehrmals wandte ich mich um, bemerkte aber erleichtert, dass mir niemand folgte. Meine Erleichterung schwand jedoch, als ich sah, dass auch vor dem anderen Ausgang die kleinen Gestalten standen; nicht die gleichen, zwei Knaben und ein Mädchen diesmal.
Ich schüttelte die aufsteigende Panik ab. Was war nur mit mir los? Hatte mich diese Frau infiziert mit ihrer Phantasterei? Ich konnte doch nicht durch die Straßen gehen und in allen Kindern Puppen sehen, die mir an den Kragen wollten.
Entschlossen trat ich ins Freie. Nichts geschah. Ich schritt an den Kindern
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