014 - Das Haus der boesen Puppen
nicht meine.
Ich erreichte das Kaufhaus und hatte Glück mit einem Parkplatz. Herr Keller hatte offenbar nicht erwartet, dass ich tatsächlich nochmals kommen würde, resignierte aber, als er sah, dass ich mich nicht von meinem Vorhaben abbringen ließ.
Er holte zwei Gehilfen und ließ die Puppe in einen Werkraum schaffen, der sich unter den Verkaufsräumen befand und in dem augenscheinlich die Auslagedekorationen hergestellt wurden.
»Also, Herr Tepesch, hier haben wir Ihren Liebling«, meinte Keller, als wir schließlich allein waren.
Ich sah mir die Puppe genau an. Ich berührte die Gesichtshaut, das Haar, und starrte in die verblüffend echt wirkenden Augen.
»Sieht verdammt echt aus«, murmelte ich.
»Ja, beängstigend.«
Ich starrte ihn an. »Wie meinen Sie das?«
Er schüttelte sich leicht. »Wenn ich ihr auf der Straße begegnete, würde ich sie ohne Zweifel für einen Menschen halten.
Seit wir sie hier haben, beginne ich mich manchmal zu fragen, ob die da draußen alle noch … Menschen sind … wenn Sie verstehen, was ich meine.« Er lächelte unsicher.
Ich verstand ihn recht gut. Sein Gedanke ließ mich frösteln.
»Die hier hereinkommen, sind ja wohl über den Zweifel erhaben«, meinte ich halb scherzhaft. »In Kaufhäusern wenigstens werden wir vor Robotern sicher sein. Kaufen und besitzen wollen sind allzu menschliche Eigenschaften.«
Er lachte halblaut. »Sie meinen, Geschmack und Verlangen und Gier ließen sich nicht programmieren?«
»Vielleicht«, gestand ich zu. »Aber wozu sollte eine Maschine, ein Roboter, eitel sein und besitzen wollen?«
»Um zu verbrauchen. Roboter, die eigene Bedürfnisse haben, erweitern den Absatzmarkt. Wir sind eine Konsumgesellschaft, lieber Herr. Muss sie nicht letztlich perfektioniert werden? Indem sich der Hersteller gleich auch den Verbraucher schafft, der konsumiert wird und gleichzeitig konsumiert …«
Ich schüttelte den Kopf. Ein verrückter Gedanke, was er sagte – weil er von der Zukunft sprach, während mir die Vergangenheit im Kopf herumspukte.
»Macht es Sie nicht stutzig, wenn Sie so etwas sehen?« fragte er erstaunt und deutete auf die Puppe, der ich das Jackett auszuziehen bemüht war.
»Stutzig schon«, erwiderte ich, »aber nicht philosophisch.«
Meine wahren Gründe konnte ich ihm nicht gut sagen. Ich schämte mich jedoch nicht zu sehr, um aufzuhören. Ich hatte es mir einfach in den Kopf gesetzt, den letzten Rest von Zweifel zu beseitigen, um mit ruhigem Gewissen vor Carlotta Gilbert sagen zu können, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Da ist kein Leberfleck. Das ist nicht Ihr Mann, sondern eine Puppe, ein Roboter, ein Gespenst aus der Zukunft, nicht aus der Vergangenheit.
»Helfen Sie mir mit dem Anzug«, bat ich ihn.
»Wollen Sie ihn ausziehen?« fragte er überrascht. »Die Mühe können Sie sich sparen. Das haben wir getan. Da stimmt alles bis auf den Millimeter. Manche alte Jungfer hätte gern so einen zu Hause.« Er grinste. »Tolle Arbeit!«
»Ich will nur seinen Rücken sehen«, erklärte ich. »Und es wäre mir lieb, wenn ich die Gründe für mich behalten dürfte.«
»Schon gut, schon gut. Wenn wir schon mal dabei sind, warum nicht.«
Er half mir mit der Jacke, und ich zog ein wenig ungeduldig das weiße Hemd hoch.
Da war es das Muttermal. Daumengroß, wie Frau Gilbert es gesagt hatte.
Er sah mich erstaunt an, denn ich war ein wenig bleich geworden.
»Was hat sie aus der Fassung gebracht?«
»Der Leberfleck«, stammelte ich unwillkürlich.
Er hob die Schultern. »Ist eben perfekt. Hat ja auch ein Durchschnittsgesicht. Warum nicht auch einen Leberfleck?«
Ich nickte benommen.
»Sie haben recht«, sagte ich abwesend.
Mein Kopf war plötzlich ein Nest von Hornissen. Und dann war sie wieder da, die Angst.
»Können Sie ihn allein anziehen?« murmelte ich.
Ich brachte es plötzlich nicht mehr über mich, die Puppe anzufassen. Ich konnte nur eines denken: dass ich Ed Gilbert vor mir hatte; aller Logik zum Trotz. Carlottas Überzeugung hatte gesiegt.
Irgendwie verließ ich das Kaufhaus. Es musste in einer Art Trance gewesen – einer schützenden Selbsthypnose. Erst als ich nach Hause kam, hatte ich mich einigermaßen beruhigt. Ich schalt mich einen Dummkopf und Angsthasen, mit dem nicht alles richtig im Kopf war. Wie konnte ich nur so die Nerven verlieren?
Was sollte ich Carlotta sagen? Sie würde merken, dass ich log, dass ich zweifelte. Und sie würde mich fragen, ob ich den Leberfleck gesehen
Weitere Kostenlose Bücher