014 - Das Haus der boesen Puppen
sagte ich bestimmt.
»Das ist nicht notwendig, Charlie. Es ist besser, wenn du Frau Gilbert nicht allein …«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich werde dich abholen. Um elf?«
Sie wollte widersprechen, aber dann änderte sie ihre Gesinnung.
»Um elf«, stimmte sie zu. Sie küsste mich leicht auf die Wange, ging zur Tür, zog eine Jacke über und zögerte noch einmal.
»Geh nicht in deine Wohnung!« sagte sie. »Alles, was du brauchst, kann ich dir morgen früh bringen.«
Besorgnis lag in ihrer Stimme.
Ich nickte.
Als die Tür hinter ihr zufiel, bemerkte Carlotta: »Sie liebt Sie, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete ich. Es klang bedrückt.
Wir sprachen eine Weile, aber bald wurden meine Antworten unkonzentriert.
Es lag etwas in der Luft. Mich überkam ein Verlangen, ein Hunger, wie ich ihn schon zuvor verspürt hatte. Meine Gedanken tanzten um Carlotta. Ihr Körper schien mir in manchen Augenblicken das Ziel meines Verlangens. Irgendeine Art von Scham hielt mich lange zurück. Aber es kam der Moment, da das Gefühl übermächtig wurde.
Sie bemerkte meine flammende Gier. Sie erschreckte sie. Aber sie leistete keinen Widerstand, als ich sie in meine Arme riss, vielleicht, weil sie fürchtete, dass ich Gewalt anwenden könnte, wenn sie nicht willig war.
Ich ging nicht zärtlich mit ihr um, das entsetzte mich selbst am meisten. Ein Dämon war in mir und dirigierte mein Handeln und trieb mich in eine wilde Ekstase.
Carlotta gab sich stumm diesem Sturm hin. Sie ertrug mein animalisches Gebaren still und mit weit offenen Augen.
Dann erkannte ich, dass es nicht die weiblichen Formen waren, die mich reizten sondern das Leben in ihr, die pulsierende Kraft.
Ich hörte ein tiefes, tierisches Knurren. Es kam aus meiner eigenen Kehle. Von Grauen geschüttelt, fuhr ich zurück. Mein Herz schlug wie rasend. Ich wandte mich ab von ihrem reglosen Körper, dem zerrissenen Kleid, den brennendroten Nagelspuren, die meine Krallen ihr an Schulter und Brust zugefügt hatten. Eine plötzliche Schwäche ließ mich taumeln. Ich musste mich festhalten.
Carlotta war sofort neben mir, stützte mich, murmelte beruhigende Worte.
»Vielleicht hat die alte Zigeunerin recht«, sagte sie.
Ich verstand sie nicht.
»Damit, dass ich dein Opfer bin, Charlie.«
»Lass uns von hier weggehen«, sagte ich heiser.
Es war heiß.
Sie nickte und versuchte, ihr Kleid in Ordnung zu bringen, aber der Schaden war zu groß.
»Glaubst du, dass Helen …«, begann sie.
»Sicher. Such dir, was du brauchst. Das ist nun schon das zweite Kleid, das du durch mich einbüßt.«
»Das zweite?« fragte sie erstaunt.
Ich berichtete ihr von dem anderen, dass ich der Alten weggenommen und ins Feuer geworfen hatte.
Sie lächelte. »Es ist ein starkes Zeichen, dass du glaubst.«
»Ich wollte lediglich ganz sichergehen«, wandte ich ein.
»Das wollte ich damit sagen. Es hätte ja sein können, nicht wahr?«
»Vielleicht sollten, wir uns trennen«, schlug ich vor. »Es könnte noch einmal geschehen, dass …«
Ich ließ die Worte in der Luft hängen.
»Dass du über mich herfällst? Ja, das ist wohl möglich. Wahrscheinlich sogar. Es ist etwas in dir, das mich erschreckt – und zugleich fasziniert. Liebst du Helen?«
»Nein.«
»Aber sie bedeutet dir etwas?«
Ich nickte und sah ihr zu, wie sie eine Bluse und einen Rock aus Helens Schrank nahm.
»Lass uns zusammenbleiben«, sagte sie unvermittelt. »Eine Weile. Heute Nacht. Morgen …«
Sie sah mich forschend an und lächelte, als sie in meinen Augen die Zustimmung sah.
Die kühle Nachtluft linderte das Verlangen in mir und ließ mich wieder klarer denken. Die Luft vibrierte, als wäre sie mit Energie geladen. Der Himmel war noch hell. Es war kurz vor acht. Noch waren die Straßen sehr belebt. Sie atmeten, keuchten aus tausend Kehlen, pochten mit tausend Herzen, widerhallten von Millionen sinnloser Gedanken. Ich schwelgte in diesen Empfindungen. Noch nie hatte ich alles so deutlich gespürt. Diesen Hunger. Hunger nach Leben.
Wir nahmen den Bus. Ich hatte kaum Augen für Carlotta; ich genoss das aufregende Chaos um mich herum. Der beruhigende Druck ihrer Hände an meinem Arm versicherte mir, dass sie da war, dass der Traum um mich Realität war.
Etwas in mir wuchs und schwand. Ich spürte, dass etwas Entscheidendes, ungeheuer Wichtiges geschehen würde. Heute noch.
Carlottas Stimme brachte mich in die Realität zurück. Sie deutete auf das Gebäude, das vor uns auftauchte. Das
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