014 - Das Haus der boesen Puppen
hatte das kleine Mädchen an der Hand. Es mochte nicht mehr als fünf oder sechs Jahre alt sein, soweit ich das vom Fenster aus beurteilen konnte. Sie verschwanden rasch in der Dunkelheit.
Verwundert schüttelte ich den Kopf.
Ed Gilbert tauchte nicht mehr auf in den nächsten Tagen, und ich hatte selbst kein Verlangen, ihn aufzusuchen, obwohl mir vieles geheimnisvoll an ihm schien und mich neugierig machte.
Auch dass er einiges über meine Vergangenheit zu wissen schien, reizte mich. Aber da er selbst zugegeben hatte, mich nicht persönlich gekannt zu haben, würde alles nur Information aus zweiter Hand sein, die ich mir auch ohne ihn verschaffen konnte – vorausgesetzt, dass er die Wahrheit gesagt hatte.
So rief ich in Frankfurt an, und zwar das Personalbüro der Zeitung, bei der ich angeblich gearbeitet hatte. Dort teilte man mir nach kurzen Informationen mit, dass tatsächlich ein Herr Tepesch bei ihnen gearbeitet hätte, der allerdings ohne die übliche Kündigung über Nacht verschwunden wäre. Das sei vor etwa drei Jahren gewesen.
Es stimmte also.
Ich gab mich nicht zu erkennen und erkundigte mich auch vorerst nicht weiter. Es war offensichtlich bereits damals etwas Merkwürdiges geschehen, und es mochte leicht sein, dass ich mich in die Nesseln setzte, wenn ich zu tief bohrte. Vielleicht hatte ich ein krummes Ding gedreht. Ich musste versuchen, anonym zu bleiben, bis wenigstens ein Hauch von Erinnerung zurückgekehrt war.
Ed Gilbert erschien mir wie eine Drohung aus der Vergangenheit, und ich war halb erleichtert und halb enttäuscht, dass er sich nicht mehr blicken ließ.
Doch das kleine Mädchen ließ sich nicht aus meinen Gedanken scheuchen. Hatte sie während seines ganzen Besuches draußen vor der Tür gestanden? Das war doch verrückt. Andererseits: wer ließ ein sechsjähriges Mädchen nachts allein auf die Straße? Helen meinte, ich hätte mir das Mädchen nur eingebildet, aber diese Erklärung war wohl zu einfach.
Einige dringende Aufträge ließen mir in den nächsten Tagen nicht viel Zeit, nachzudenken. Seit drei Monaten arbeitete ich wieder, allerdings nicht als Fotograf, der ich offenbar noch in Frankfurt gewesen war, sondern als Werbegraphiker. Ich sah auch Helen kaum. Doch darüber war ich froh. Das Verhältnis mit Helen begann langsam ein Problem zu werden, umso mehr, als ich nicht die geringste Lust verspürte, mich zu binden, obwohl ich Helen mochte. Im Gegensatz zu Helen wünschte ich mir, unser freies Verhältnis könnte noch eine Weile so bestehen bleiben.
Gilberts Worte über die Morde beschäftigten mich indessen stark, vor allem weil in drei Tagen Vollmond war und weil die Menschen von nichts anderem sprachen. Ein paar Mal ertappte ich mich dabei, mir vorzustellen, wie es wohl war, jemanden wie ein Raubtier anzufallen, und jedes Mal schüttelte ich mich vor Ekel. Der Gedanke an Blut allein verursachte mir einen Brechreiz; die Vorstellung, menschliches Fleisch im Mund zu haben, war unerträglich.
Am Abend des dritten Tages nach Gilberts Besuch fuhr ich von einer Party nach Hause, die beim Chef einer Firma stattgefunden hatte, für die ich manchmal arbeitete. Die Party war langweilig gewesen und ermüdend, und ich trauerte dem verlorenen Abend nach vielleicht weil mein Leben aus nur lausigen sechs Monaten bestand.
Ich musste etwas zu tief in Grübelei versunken gewesen sein, als ich durch die menschenleeren Straßen fuhr. Es war kurz nach zwei. Vielleicht war es auch die Müdigkeit, die meine Reaktion in diesem Augenblick verlangsamte. Obwohl ich die Frau und das kleine Mädchen an ihrer Hand klar und deutlich im Licht des Scheinwerfers sah, hatte ich nachher keine Erinnerung daran, wie es geschehen war, dass sie plötzlich vor den Wagen taumelten. Ich sah das angstverzerrte Gesicht der Frau.
Zu spät riss ich das Lenkrad herum. Die Frau sprang mit einem Ruck zur Seite, aber das Mädchen fiel direkt vor die Räder. Die Reifen kreischten. Instinktiv nahm ich den Fuß von der Bremse, in dem panischen Trugschluss, die rollenden Räder würden vielleicht weniger Unheil anrichten. Der Wagen holperte leicht, wie über eine Unebenheit der Straße. Das knirschende Geräusch war deutlich zu hören, weil der Motor bereits schwieg.
Ich stand. Einen Augenblick wartete ich starr vor Entsetzen auf das Schreien, das Wimmern, das Stöhnen. In mir war alles verkrampft. Aber ich hörte keinen Laut. Die ist tot! schrieen meine Gedanken.
Ich riss die Tür auf und taumelte fröstelnd
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