014 - Das Haus der boesen Puppen
in die kühle Nachtluft.
Die Frau war zu Boden gestürzt, aber ihr schien nichts geschehen zu sein. Auf die Arme gestützt, starrte sie auf den Wagen. Mein Blick wanderte zu den Rädern. Das Kind lag knapp vor dem rechten Hinterreifen reglos, das weiße Kleidchen dunkel von Schmutz und Blut.
Mit einem Würgen in der Kehle kniete ich nieder und begann sie vorsichtig unter dem Wagen hervorzuholen. Dabei streifte mein Unterarm das Kleid. Die feuchte Berührung flößte mir Ekel ein, so dass ich zurückzuckte und den Arm abwischte. Überrascht bemerkte ich, dass es kein Blut war, sondern Öl – offenbar von der Straße. Aber der kleine Körper war flach, als wäre er zertreten worden. Vorsichtig, Zentimeter um Zentimeter, zog ich ihn hervor. Dann nahm ich ihre Arme – und hielt erstarrt inne.
Sie fühlten sich hart und steif an – wie Plastik. Ich tastete über das Gesicht. Ebenfalls hart und glatt. Erleichterung überflutete mich fast schmerzlich. Ich atmete ein paar Mal tief durch, bis das Würgen in der Kehle aufhörte.
Eine Puppe! Ich hatte eine Puppe überfahren und gedacht, es wäre ein Mädchen.
Ich begab mich zu der Frau, die noch immer bewegungslos auf den Wagen starrte. Sie schien unter einem Schock zu stehen und ihre Umwelt nicht wahrzunehmen. Vorsichtig hob ich sie hoch. Sie ließ sich willig führen. Ich öffnete die Beifahrertür und ließ die Frau vorsichtig auf den Rücksitz gleiten. Sie hielt eine schwarze Handtasche in den verkrampften Fingern.
Ich versuchte, sie ihr aus der Hand zu nehmen, aber sie gab sie nicht her.
Sie war hübsch, dreißig vielleicht, blond. Ihr Mund war leicht geöffnet, ihr Atem kaum spürbar. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid. Eine der Sandalen hatte sie verloren. Ich suchte einen Augenblick und fand sie ein paar Meter weiter im Rinnstein.
Ich schob sie ihr auf den Fuß. Ihr Kleid war durch den Sturz schmutzig geworden, und ihre Nylonstrümpfe waren zerrissen.
Aber darum sollten sich die Leute im Krankenhaus kümmern.
Ich warf die Puppe auf den Nebensitz und fuhr los.
Langsam beruhigte sich mein Inneres. Ein Gedanke allerdings verfolgte mich die ganze Fahrt über: Ich glaubte, das kleine Mädchen kurz vor dem Unfall an der Seite der Frau gesehen zu haben. Aber als ich das Krankenhaus erreichte, vergaß ich es.
Es gab ja auch Gehpuppen.
Ich lieferte die Frau ab und berichtete den Vorfall.
Der diensttuende Arzt versprach, die Polizei zu verständigen und mich im Laufe des nächsten Tages über das Befinden der Frau zu informieren. Ich gab ihnen meine Personalien und verabschiedete mich.
Als ich zu Hause ankam, sah ich, dass die Puppe noch im Wagen lag. Ich hatte sie total vergessen. Aber sicher war in den nächsten Tagen noch Zeit genug, sie zurückzubringen. In der Zwischenzeit konnte ich versuchen, sie zu reparieren oder Ersatz aufzutreiben.
Ich hob sie aus dem Wagen, und sie gab einen leisen, klagenden Ton von sich, der mich unwillkürlich schaudern ließ. Aber in dieser Nacht hätte mich auch der Teufel persönlich nicht mehr aufschrecken können. Ich warf die Puppe in einen Stuhl und schlief in den nächsten Minuten bereits tief und fest.
Ich mochte höchstens eine Stunde geschlafen haben, als ich aufwachte. Es dauerte einen Augenblick, bevor ich erkannte, dass ich wach war und nicht träumte. Geräusche hatten mich geweckt, die aus Richtung des Stuhles herkamen. In dem hellen Licht des vollen Mondes sah ich, dass sich dort etwas bewegte. Die Müdigkeit lähmte bleiern meine Glieder, aber ich sah es ganz deutlich.
Die Puppe versuchte sich hochzustemmen. So beschäftigt war sie mit ihren Bemühungen, dass sie nicht wahrnahm, dass ich ihr zusah. Seltsamerweise fühlte ich kein Grauen und keine Furcht, nur ein grenzenloses Erstaunen, und wäre es nicht so verdammt schwer gewesen, die Zunge zu bewegen, hätte ich wahrscheinlich etwas gesagt oder einen Rat gegeben, denn es war frustrierend, zuzusehen, wie sie sich abmühte. Aber schließlich schaffte sie es. Sie kam hoch. Ihre Plastikarme waren beweglich, als wären sie aus Fleisch und Blut. Sie griff an ihren Rücken und öffnete ihr Kleidchen. Der dünne Stoff zerriss an der scharfen Kante ihres zerbrochenen Körpers, aber sie schaffte es schließlich, sich von dem Kleid zu befreien.
Ihre Bewegungen hatten nichts Ruckartiges an sich, sondern waren fließend wie bei einem lebenden, denkenden Wesen. Einen Augenblick blickte sie an sich hinab, auf die hässliche Zerstörung, die das Rad angerichtet hatte, dann
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