014 - Das Haus der boesen Puppen
vertiefte sich, als er den Unglauben in unseren Gesichtern sah. »Natürlich ist es Unsinn, daran zu glauben, ein Mensch könne sich äußerlich in ein Tier verwandeln. Aber innerlich. Sind Sie deshalb weniger Werwölfe oder Ungeheuer?«
Nachdenklich schüttelte ich den Kopf. Er hatte sicher recht.
Der Glaube machte sie dazu.
»Die Unholde, über die plötzlich der Blutrausch kommt«, fuhr er fort, »die Einzelgänger, die plötzlich irgendwo an abgelegenen Orten auftauchen und ganze Familien ausrotten. Kerle wie
Richard Speck, der unter den Mädchen einer Schwesternschule in Chicago ein Blutbad anrichtete – sie sind die Bestien unserer Legenden.«
»Ich sehe, was Sie meinen«, sagte ich. »Die Transformation vollzieht sich rein psychisch. Und nicht der Mond ist der auslösende Faktor, sondern die sexuelle Lust. Die Umstände sind stimulierend.«
»Sie wissen eine ganze Menge«, unterbrach er mich, »trotz ihres Gedächtnisverlustes. Wie kommt das?«
Ich hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich noch an die ersten Tage danach. Da sah ich Worte und verstand sie nicht. Ich konnte nicht lesen, nicht schreiben. Ich wusste nichts. Aber es dauerte nur ein paar Stunden, dann begann sich die Leere zu füllen. Doch nur Anerzogenes und Erlerntes wusste und konnte ich wieder. Es ist paradox. Ich weiß rein logisch, dass ich zur Schule gegangen sein muss, um Lesen oder Schreiben zu lernen, aber ich habe keinerlei Erinnerungen.«
Ich brach ab. Ich hatte mich zu einer Erklärung übertölpeln lassen. Einigermaßen verärgert sah ich Gilbert an.
Helen, die fürchtete, das Gespräch könnte in andere, weniger interessante Bahnen geraten, warf rasch ein: »Gab es schon ähnliche Fälle?«
»Sie meinen diese Morde?«
Helen nickte.
»Genug. Denken Sie an Haarmann, der in zwanziger Jahren in Hannover seinen Opfern die Kehle durchbiss. Und seit Anfang der sechziger Jahre gibt es in England immer wieder Fälle von extremen Vampirismus. Es handelt sich um einen einzelnen Mörder, der noch immer nicht gefunden wurde, obwohl man ihn bereits bei der Tat beobachtet hatte. Aber das Entsetzen der Zeugen war zu groß gewesen. Dieser Mann pflegt nämlich den Opfern mit einem großen Messer den Kopf abzuschlagen und das Blut zu trinken, das aus dem Nacken quillt.«
Ich schüttelte mich.
»Blut ist ein ganz besonderer Saft«, fuhr Gilbert fort. »Nicht umsonst wurde den Göttern in alter Zeit so viel geopfert.«
»Das ist noch leichter zu begreifen, als das Essen des Fleisches«, murmelte Helen.
Gilbert hob die Schultern. »Ist aber auch nicht neu. 1960 gab es in Detroit einen jungen Mann, der eine Frau im Auto ermordete, vergewaltigte und Fleischstücke aus ihrem Körper schnitt, die er mit dem Zigarettenanzünder röstete und aß. Glücklicherweise fasste man ihn bald und brachte ihn in ein Sanatorium.«
»Glauben Sie, dass dieser englische Mörder vielleicht etwas mit den Morden hier zu tun hat?« fragte ich.
»Nein«, antwortete er bestimmt. »Die Spur unseres Vollmondmörders lässt sich deutlich zurückverfolgen und sie führt nach Osten. Die Polizei hat sich bereits mit den Behörden in
Österreich und in Ungarn in Verbindung gesetzt.«
Er betrachtete mich nach diesen Worten erwartungsvoll, aber mir war nicht klar, was er erwartete.
Nach einem Augenblick erhob er sich. »Ich muss jetzt aber wirklich gehen.«
Ich atmete auf. Irgendwie war er mir unheimlich.
»Gute Nacht, Herr – Tepesch.« Ich nahm seine dargebotene Hand, und er sagte: »Das ist ein ungarischer Name – Tepesch, nicht wahr?« Er wartete keine Antwort ab, sondern verabschiedete sich von Helen. Bevor er ging, nannte er mir seine Adresse, unter der er während der nächsten Tage erreichbar sein würde. An der Tür wandte er sich nochmals um und sagte: »Wir leben in einer friedlichen Zeit, Charlie. Im sechzehnten Jahrhundert hätte man Werwölfe auf das Rad geflochten, sie mit dem Schwert zerstückelt und dann zu Asche verbrannt. Sie haben wirklich Glück.«
Mit plötzlich trockener Kehle krächzte ich: »Was wollen Sie damit sagen?«
Er grinste und deutete auf mein Gesicht. »Ein untrügliches Merkmal, an dem man einen Werwolf erkennt, sind buschige schwarze Brauen, die über der Nase zusammenwachsen – wie die Ihren.«
Als er ging, sah ich im Flur hinter der offenen Tür ein kleines Mädchen verschwinden. Dann fiel die Tür ins Schloss.
Ich blickte neugierig aus dem Fenster. Nach einigen Sekunden trat Gilbert aus dem Haustor. Er
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