014 - Draculas Höllenfahrt
gegenüber lagen die Bäder und
Toiletten. »Vielleicht ein Patient, der vorbeikam und die Tür gestreift hat.«
»Möglich«, murmelte Lilian
benommen. Mit einer fahrigen Bewegung strich sie durch das lange Haar.
Miriam schloß die Tür wieder.
»Hör mir genau zu, Miriam«, sagte
Lilian Bowman mit dumpfer Stimme. »Du hast nicht mehr viel Zeit. In zehn
Minuten mußt du gehen, und Aston wird das sehr genau nehmen, davon bin ich
überzeugt. Mich wundert, daß er dich überhaupt eingelassen hat.« Sie sprach
jetzt sehr leise und bedächtig, so als bedenke sie jedes Wort.
»… ich habe in der letzten Nacht
versucht zu fliehen! Ich konnte es nicht mehr ertragen. Erst glaubte ich, es
sei eine Halluzination. Aber dann wiederholten sich die Vorfälle an drei
hintereinanderfolgenden Abenden. Ich weiß, daß ich es gesehen habe – und Aston
weiß das auch. Hier in der Anstalt gibt es einen Vampir!«
Das letzte Wort war wie ein Hauch.
Offenbar erwartete Lilian, daß Miriam nun sehr überrascht sein würde. Aber das
war nicht der Fall. Interessiert hob die Schauspielerin lediglich die Augen.
»Warum sagst du nicht, daß ich
verrückt bin?« preßte Lilian Bowman hervor. »Der Sheriff in der letzten Nacht,
und der Sergeant – sie starrten mich entgeistert an. Für sie war ich eine Irre.
Als Aston auftauchte, schien der Fall vollkommen klar. Sie konnten mich nicht
ernst nehmen, und deshalb wird sich hier weiterhin Unheimliches ereignen.«
Die Worte sprudelten nur so aus
ihrem Mund. »Warum, Miriam, nimmst du meine Ausführungen einfach so hin?«
»Ich höre dir zu. Die Sache mit dem
Vampir – so etwas gibt es.«
»Du glaubst mir also?« Lilian fuhr
sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Aston verfolgte mich. Er holte
mich zurück. Das war nicht schwer für ihn. Als Verrückte …«
»Du bist nicht verrückt, Lilian! Du
wurdest eingeliefert mit einem Nervenzusammenbruch, das ist alles.«
Lilian Bowman lachte rauh. »Aston
weiß alles, und er duldet es. Er hat die Bißwunde am Hals von Edith Beran
untersucht, ich habe ihn dabei beobachtet. Und wenn kein Wunder geschieht, dann
bin ich als nächste an der Reihe, Miriam. Du mußt die Polizei verständigen,
oder zumindest mit jemandem darüber sprechen, der in der Lage ist, einen Hausdurchsuchungsbefehl
zu bekommen. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Vielleicht ist morgen schon alles
zu Ende, und ich bin nicht mehr als eine willenlose Sklavin wie Edith Beran,
der man Blut abzapft.«
Die schmalen, weißen Hände Lilians
legten sich auf die Schultern der Freundin. Nur mühsam konnte Lilian ihre
Erregung verbergen.
»Leg dich jetzt hin«, flüsterte
Miriam Brent. »Ich verspreche dir, die Sache zur Sprache zu bringen. Und mach
dir keine Sorgen! Es wird nichts geschehen. Ich werde dich kommende Woche jeden
Tag besuchen, einverstanden?«
Sie brachte Lilian zu Bett. Dankbar
nickte die Freundin. »Das wäre eine Lösung. Wenn man dich – aus irgendwelchen
Gründen auch immer – abweisen sollte, laß dich nicht wegschicken! Dann stimmt
etwas nicht. Ich habe Angst, Miriam, furchtbare Angst!«
»Die brauchst du nicht zu haben.«
In diesem Augenblick wurde an die
Tür geklopft. Unwillkürlich warf Miriam Brent einen Blick auf ihre Armbanduhr.
Seit ihrer Ankunft war genau eine halbe Stunde vergangen.
»Laß dir nichts anmerken, Lilian«,
zischte sie noch, dann trat Dr. Aston auch schon ein. Bleich und ernst. Er
strahlte Kälte aus.
Die Besucherin erhob sich. »Ich
weiß, meine Zeit ist um.« Sie lächelte.
Dr. Aston erwiderte dieses Lächeln
nicht. Sein Blick streifte Lilian Bowman, die ruhig in ihrem Bett lag. »Ich
hoffe, daß die Patientin durch Ihren Besuch nicht zu sehr aufgewühlt wurde.«
Miriam schüttelte den Kopf. »Wir
haben uns angeregt unterhalten. Ich glaube, daß sie sich sehr über mein Kommen
gefreut hat. Sie sollte vielleicht öfter Besuche erhalten, sie fühlt sich sehr
einsam, hat sie mir gesagt.«
»So, hat sie das?« entgegnete
Aston. Es klang ein wenig spöttisch.
Von der Tür her winkte Miriam der
Freundin noch mal zu.
Aston begleitete Miriam Brent
einige Meter weit, dann blieb er plötzlich stehen, schlug sich an die Stirn und
sagte: »Das darf ich nicht vergessen – entschuldigen Sie bitte, Miß Brent. Ich
muß sofort nach oben. Es ist schon sechs. Die Tür – Sie wissen ja Bescheid.
Gute Nacht!«
»Gute Nacht, Doktor Aston!«
Miriam sah dem Psychotherapeuten
nach, wie er eilig die Treppenstufen benützte. Sekunden später klappte
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