014 - Draculas Höllenfahrt
nichts
anmerken.
»Sie wurde vor drei Wochen
eingeliefert. Nerven-zusammenbruch. Von Anfang an wollte ich sie schon
besuchen, aber …«
Aston fiel Miriam Brent ins Wort.
»Die Besuchszeit ist vorbei, Miß Brent.«
Sie lächelte. »Ja, ich weiß. Es ist
ein Zufall, daß ich hier sein kann. Unsere Gruppe tritt seit vier Monaten an
einem kleinen Theater am Broadway auf. Tag für Tag harte Arbeit – und darüber
gehen leider auch persönliche Dinge verloren. Lilian ist Mitglied dieser
Gruppe. Sie spielte keinen großen Part und war leicht zu ersetzen. Heute abend
nun hat der männliche Hauptdarsteller auf seinem Weg zum Theater einen Unfall
erlitten. Nichts Ernstes, zum Glück, aber doch schwer genug, daß ihn dieses
Malheur mindestens für sechs Wochen ans Krankenbett fesselt. Für die nächsten
vierzehn Tage muß die Gruppe eine Zwangspause einlegen, bis sich ein anderer
mit der Rolle vertraut gemacht hat. – Ich hätte genausogut morgen oder übermorgen
oder auch erst in einer Woche kommen können. Doch ich habe mir vorgenommen,
diesen Besuch nicht wieder hinauszuschieben, sonst wird doch nichts daraus. Ich
fuhr sofort los, nachdem also feststand, daß heute abend die Vorstellung
ausfällt. Von New York nach hier sind es gute dreißig Minuten Fahrzeit. Ich
hatte für heute abend keine anderen Pläne. Lilian und ich – wir sind sehr gut
miteinander befreundet. Sie liegt doch privat. Ich möchte sie gern sehen, ein
paar Worte mit ihr wechseln. Sie bekommt von niemand sonst Besuch. Sie hat
keine Angehörigen. – Drücken Sie mal ein Auge zu, Doktor«, sagte sie
schelmisch. Sie hatte die gleiche gewinnende und sympathische Art an sich, die
auch ihren Bruder auszeichnete.
»Hm, ja, das sind natürlich
besondere Umstände«, murmelte Aston. Er atmete tief durch. Entsprachen die
Worte der Schwester Larry Brents der Wahrheit, oder war das Ganze eine Art
heimlicher Überprüfung?
Aston hatte den PSA-Agenten sehr
gut während des Rückflugs nach New York kennengelernt. Larry Brent war ein
äußerst kluger und intelligenter Bursche, ein Mann, den man nicht unterschätzen
durfte.
Der Psychotherapeut trat zur Seite.
»Nun, dann will ich mal eine
Ausnahme machen. Besondere Umstände … treten Sie näher! Ich führe Sie zu Miß
Bowman. Ich möchte sie allerdings bitten, Ihren Besuch nicht über Gebühr in die
Länge zu ziehen. Sagen wir eine halbe Stunde, einverstanden?«
»Einverstanden.«
»Miß Bowman hatte erst in der
letzten Nacht einen furchtbaren Anfall. Sie hatte Halluzinationen. Wir haben
sie in einem der Räume untergebracht, die eigentlich für die leichten Fälle in
diesem Haus gedacht sind. Sie hat einen Balkon, kann ihr Zimmer verlassen, wann
immer sie will. In der Nacht nun kletterte sie über die Balkonbrüstung im
ersten Stock, durchquerte – nur mit einem Negligé bekleidet – bei strömendem
Regen den Park und lief die Straße entlang. Ehe wir entdeckten, was los war,
hatte sie sich schon mehr als zwei Meilen von der Anstalt entfernt.«
»Das ist ja furchtbar!« Miriams
Stimme klang erschrocken. »Ich wußte gar nicht, daß es so schlimm um sie
steht.«
»Es hat sich verschlechtert.«
»Aber ein Nervenzusammenbruch …«
Aston zuckte die Achseln. »Es
kommen da noch einige Dinge hinzu. Sie wissen vielleicht nur, daß ihr Freund
Joe sie im Stich gelassen hat. Das war vor einem halben Jahr. Lilian verlor
danach jeden Halt. Sie griff nach Drogen.«
Miriam Brent zuckte zusammen. Ihre
Blicke suchten die Augen Astons. Sie ließ sich ihr Erschrecken nicht anmerken,
als die kalten Augen ihren Blick erwiderten. Der Mann neben ihr strahlte eine
Kälte aus, die sie körperlich spürte.
Miriam Brent, ein graziles und
aufnahmefähiges Geschöpf, begriff die Angst nicht, die mit einemmal wie ein
eisiger Strom durch ihre Glieder strich. Durch ein leichtes Lächeln versuchte
sie die augenblickliche Unsicherheit zu überbrücken.
Sie gab zu erkennen, daß es mit den
Eröffnungen Astons zusammenhing. In Wirklichkeit aber war es der
Psychotherapeut selbst, der ihr nicht gefiel.
»Uns ist so etwas nicht aufgefallen.
Lilian – und Drogen? Ausgeschlossen!«
»In verschiedenen Sitzungen kam das
eindeutig zum Ausdruck.« Seine Stimme klang etwas schärfer. »Man täuscht sich
manchmal in den Menschen. Auch in den besten Freunden.«
»Das ist schon möglich.«
Als sie vor der Tür angelangt
waren, hinter der Lilian Bowman lag, legte Aston seine Hand auf Miriam Brents
Schulter.
»Regen Sie sie nicht auf,
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