014 - Draculas Höllenfahrt
Zimmertür hörte. Diese Schritte erinnerten sie an etwas. An
Edith – und an das Schicksal der Zimmernachbarin.
Lilian wandte den Kopf und sah die
schattengleiche Gestalt auf sich zukommen.
»Wie geht es Ihnen, Lilian?« fragte
eine vertraute Stimme.
Dr. Aston?
Lilian Bowman schluckte. Sie mußte
mehrmals blinzeln, ehe sie den Besucher klar erkennen konnte.
Sie setzte sich aufrecht ins Bett.
Die aufkommende Angst, die sie empfand, als sie Aston erkannte, wandelte sich
um, in eine interessierte Gelassenheit. Fremde Gedanken mischten sich in ihre
Überlegungen, die ruhige Stimme Astons wurde zu einem endlosen Meer, auf dem
sie zu schwimmen begann.
»Ich habe doch versprochen, Ihnen
zu helfen, Lilian …« Aston kam näher. Sein bleiches Gesicht leuchtete wie eine
Scheibe in dem halbdunklen Zimmer, in dem nur eine kleine, abgeschirmte
Tischlampe brannte.
Lilian nickte. »Ja«, flüsterte sie,
und ein Lächeln verklärte ihre Züge. Sie sah hübsch und verlockend aus. Ihre
Haut nahm eine rötliche Färbung an, als schäme sie sich ihrer Empfindungen, die
sie in der Nähe dieses Mannes förmlich überfluteten.
Die junge Schauspielerin klappte
die Bettdecke zurück. Die langen, nackten Beine schimmerten im Dämmerlicht.
Lilian Bowman erhob sich. Wie in Trance ging sie auf Aston zu, der vor ihr im
Dunkeln stand und darauf zu warten schien, daß sie sich ihm näherte.
Der warme Köper unter der dünnen
Hülle des meergrünen Nachthemdes drängte sich an ihn.
Dracula legte seinen Arm um Lilians
Schulter.
»Ich habe dir versprochen zu
kommen. Hier bin ich! Du hast auf mich gewartet – und du wirst von nun an jede
Nacht auf mich warten.«
Erregung schwang in seiner Stimme
mit. Er preßte den bereitwilligen Körper an sich.
Lilian schmiegte sich an den Mann.
Ihre Wange lag an seiner rechten Gesichtshälfte. Zärtlich strichen Draculas
Hände über das lange, seidig schimmernde Haar. Seine Lippen näherten sich dem
weißen Hals, der zart und biegsam wie der Stengel einer Lilie vor ihm lag.
Der dezente Geruch eines feinen
Parfüms entströmte der Haut Lilian Bowmans.
Dracula schob mit der Rechten das
Haar von der Schulter und näherte seinen Mund dem Hals der Schauspielerin. In
dem Augenblick, wo er seine langen Vampirzähne hineinbohren wollte, tönte das
Klingelzeichen durch das stille, einsame Haus.
Ding … dong … ding … dong …
Es war ein leiser, angenehmer Ton,
aber Dracula zuckte zusammen wie unter einem elektrischen Schlag.
Er schob Lilian Bowman mit sanfter
Gewalt zurück.
Der fiebrige, erwartungsvolle Glanz
in den Augen der Amerikanerin erlosch langsam.
Dracula huschte zur Tür und zog sie
hinter sich zu.
Es war wenige Minuten vor halb
sechs. Wer begehrte um diese Zeit noch Einlaß?
Ein neuer Fall?
Der Psychotherapeut preßte die
Lippen zusammen. Als er an dem dunklen Flurfenster vorüberkam, warf er einen
Blick nach unten zum Eingang. Unter dem kleinen Vordach nahm er eine schlanke
Gestalt wahr. Eine junge Frau! Kastanienbraunes Haar fiel auf die Schultern.
Die Fremde trug ein elegantes, petrolfarbenes Kostüm, dessen Kragen mit weißem
Nerz besetzt war.
Astons Augen wurden zu schmalen
Schlitzen.
Er ging zur Tür und öffnete.
Seine dunklen Augen musterten die
hübsche, attraktive Person. Es gab etwas im Gesicht der unerwarteten
Besucherin, das irgendeine Erinnerung in ihm weckte. Aber er wußte nicht zu
sagen, was es war.
»Dr. Aston?« fragte die junge Frau,
die nicht älter als dreiundzwanzig Jahre war.
»Ja, bitte? Mit wem habe ich die
Ehre?«
»Miriam Brent.«
●
Wie Schuppen fiel es ihm von den
Augen.
Das war es! Die Ähnlichkeit mit
Larry Brent, dem PSA-Agenten, dessen Bekanntschaft er in London machte.
Eine eigentümliche Unruhe erfüllte
ihn, der er vergebens Herr zu werden versuchte.
Er kannte Larry Brents Mission nur
zu gut. Der Agent war auf der Jagd nach Dracula gewesen. Unbarmherzig und
gnadenlos waren Larry Brents Recherchen erfolgt. Er war der größte Gegner
Draculas, und der gefährlichste, obgleich das Schicksal ihm in London die Fäden
aus der Hand genommen hatte und Larry zu einer Marionette degradierte.
Mißtrauen erfüllte Dr. Aston. Seine
Lippen formten sich zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln. Er sagte nicht, daß
der Name Brent und die Ähnlichkeit mit Larry ihm etwas bedeuteten.
»Und was wünschen Sie, Miß Brent?«
»Ich habe eine Kollegin hier in
Ihrem Sanatorium, Doktor. Lilian Bowman.«
»Ja.« Aston ließ sich
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