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0144 - Nacht über Manhattan

0144 - Nacht über Manhattan

Titel: 0144 - Nacht über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Werner Höber
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einem Selbstmörder sagen, damit er sich entschließt, am Leben zu bleiben? Was kann man sagen, was darf man nicht sagen, was ihn ungewollt in seinem furchtbaren Entschluß bestärken könnte? Ich kam mir vor wie einer, der mit verbundenen Augen ein Kartenspiel spielen soll, von dem er keine Karte je zuvor gesehen hat hat.
    »Na, dann fangen Sie mal an«, sagte er. »Ein paar Minuten wird meine Zigarette noch brennen. Legen Sie los. Vielleicht höre ich Ihnen sogar zu.«
    »Was soll man einem Feigling schon sagen?« knurrte ich, ängstlich auf jedes Geräusch lauschend, das von ihm herüberwehte.
    »Einem —« wiederholte er verduzt.
    »Einem Feigling, ja!« sagte ich noch einmal. »Oder wollen Sie behaupten, es wäre nicht feige, erbärmlich feige, alles einfach hinter sich zu werfen, mit dem man nicht fertigwerden zu können glaubt?«
    Eine Weile war es still. Dann sagte er leise:
    »Ich würde es nicht Feigheit nennen. Es muß nicht Feigheit sein. Es könnte einfach Angst vor der Einsamkeit sein, vor dem ständigen Alleinsein.«
    Ob ein Mädchen eine Rolle spielte bei seinem Entschluß? Es war immerhin möglich, aber ich wollte nicht zu direkt werden.
    »Suchen Sie sich einen Beruf, der Sie so ausfüllt, daß Sie in den ersten Jahren keine Zeit haben, an Frauen zu denken«, sagte ich.
    »Den Beruf zeigen Sie mir mal«, sagte er bitter.
    »Ich denke, deren gibt es massenhaft. Arzt zum Beispiel.«
    »Damit sie mich in einem Krankenhaus einstellen, über dessen Eingangstür steht ›Nur für Weiße!‹ Meinen Sie vielleicht so etwas? Ich müßte mir ja täglich ins Gesicht speien.«
    »Werden Sie irgendein Wissenschaftler!«
    »Damit die Militärs noch furchtbarere Waffen aus dem bauen, was ich guten Glaubens entwickelt habe?«
    »Zum Teufel, kennen Sie gar nichts Positives?«
    »Nein«, sagte er leise, bitter und hart. »Nichts mehr.«
    Ich atmete tief. Was sollte man darauf sagen. Wer einmal alles im negativen Licht sehen will, würde auf jeden Einwand von mir eine negative Antwort wissen. Ich dachte nach, aber jeder Gedanke, der mir kam, wurde sofort wieder verworfen, weil mir selbst gleich die Einwände dazu einfielen.
    »Na«, spöttelte er. »Sind Sie schon am Ende?«
    Und plötzlich hatte ich die Erleuchtung.
    »No«, erwiderte ich. »Ich fange erst an. Nehmen Sie zum Beispiel meinen Beruf.«
    »Taxifahrer.«
    »No. Ich bin kein Taxifahrer.«
    »Was denn? Der Präsident der Staaten?«
    »Nein. Ich sag's Ihnen noch, was ich bin. Beantworten Sie mir vorher eina Frage: Lebt Ihre Mutter noch?«
    »Wollen Sie jetzt mit der sanften Tour kommen? Ja, sie lebt noch. Aber diese Tour wird trotzdem nicht ziehen, bei mir nicht, Mister.«
    »Mich interessiert das, was Sie die sanfte Tour nennen, kein bißchen«, sagte ich. »Aber können Sie sich vorstellen, was eine Mutter empfindet, deren Kind von Verbrechern geraubt wurde?«
    Er schwieg verdutzt. Dann fragte er:
    »Kann sich das überhaupt jemand vorstellen?«
    »Wahrscheinlich nicht«, gab ich zu. »Aber können Sie sich vorstellen, was Sie empfinden, wenn Sie den Auftrag erhalten, das Kind wieder herbeizuschaffen, ohne daß die Entführer überhaupt merken, daß Sie sich mit der Sache befassen? Können Sie sich vorstellen, was in einem Menschen vorgeht, der genau weiß, daß die Gangster das Kind aus einem bestimmten Grund um sieben Uhr töten werden, und der noch immer keine Spur von ihnen hat?«
    »Meinen Sie einen Polizisten?«
    »Einen G-man, ja. Können Sie sich vorstellen, daß dieser G-man Tag und Nacht und Hunger und Kälte und Mädchen und alles vergißt, weil ihn dieses Kind nicht mehr losläßt? Weil er es vor sich sieht, wenn er nur die Augen schließt? Weil er bis an sein Lebensende glauben müßte, er hätte versagt, wenn er das Kind nicht mehr rechtzeitig findet?«
    Einen Augenblick war es still. Irgendwo, von ganz tief unten, kam das entfernte Heulen einer Schiffssirene. Der Wind pfiff uns um die Ohren, die Hände wurden klamm von der Kälte der Stahlträger, die wir umklammert hielten. Und über allem stand ein undurchdringlich schwarzer Himmel, ohna die leiseste Andeutung eines Sternes.
    »Sie wollen doch wohl nicht sagen, daß Sie ein G-man sind?«
    »Genau das hatte ich vor.«
    »Mann, Sie lügen so verdammt ungeschickt, daß Sie mir auf die Nerven fallen. Hauen Sie ab und lassen Sie mich in Ruhe.«
    Ich schwieg einen Augenblick. Dann sagte ich, als ob ich es mir selbst erzählte:
    »In den Zeitungen standen große Artikel wegen der beiden

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