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0144 - Nacht über Manhattan

0144 - Nacht über Manhattan

Titel: 0144 - Nacht über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Werner Höber
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einfach jedem Auto, das an ihm vorbeifuhr.
    Wahrscheinlich konnte er ein Taxi nicht mehr von einem gewöhnlichen Wagen unterscheiden.
    Ich stoppte und schob die hintere Tür auf.
    »Da-danke«, lallte er mit schwerer Zunge und kletterte herein.
    Er brauchte einige Zeit dazu, und dann hatte er Schwierigkeiten mit der Tür. Da er dauernd seinen Kopf gegen das Fenster stemmte und gleichzeitig aus Leibeskräften zog, hob die eine Anstrengung die andere auf.
    Ich sah es mir eine Weile belustigt mit an, wie er sich zurückbeugte, tief Luft holte, sich wieder nach vorn neigte und den Kopf gegen das Fenster stemmte, während er gleichzeitig am Türgriff zog.
    »Moment!« sagte ich, als ich genug von dem Schauspiel hatte.
    Ich beugte mich über den Vordersitz nach hinten, als er gerade mal wieder Luft holte, und zog die Tür mit einem kräftigen Schwung zu.
    »Donnerwetter!« staunte er. »Sie haben aber Kraft!«
    »Scheint so«, sagte ich und setzte mich hinter dem Steuer zurecht.
    »Wo soll es eigentlich hingehen?« fragte ich, während ich startete.
    »Ja, das ist die Frage«, erklärte er tiefsinnig. »Wo wird es hingehen?«
    Ich grinste mir eins und machte, daß ich mit dem Wagen erst einmal von der Straßenecke wegkam, bevor mich ein tüchtiger Kollege von der Stadtpolizei aufschrieb.
    »Welche Brücke ist eigentlich am höchsten von allen, die wir rings um Manhattan vorrätig haben?« fragte er plötzlich.
    Als Taxifahrer wird man schließlich wie ein guter Kellner: Man ist durch nichts mehr zu erschüttern.
    Ich dachte einen Augenblick nach, dann brummte ich:
    »Vielleicht die Brooklyn Bridge. Aber genau weiß ich es nicht.«
    »Na schön«, seufzte er schwermütig. »Dann nehmen wir eben die.«
    »Also zur Brooklyn Bridge?«
    »Ja, ganz recht.«
    Ich zuckte die Schultern. Auch bei den Taxifahrern ist der Kunde König, und wenn er auf eine bestimmte Brücke gefahren werden will, ist es sein gutes Recht. Ich machte mir auch nicht viel Gedanken darüber, was er gegen Mitternacht auf einer Brücke wollte.
    Den Rest der Fahrt, die länger war als meine vorhergegangenen in dieser Nacht, blieb ich schweigsam, wenn man von einem gelegentlichen Räuspern absieht und ab und zu einem kräftigen Hick, mit dem sich sein Whisky bemerkbar machte.
    Als ich die Auffahrtsrampe der gewaltigen Brücke gewonnen hatte, erkundigte ich mich sicherheitshalber noch einmal:
    »Sie meinten die Brooklyn Bridge, nicht wahr?«
    »A-allerdings«, sagte er mit doppeltem Anlauf.
    »Schön, da sind wir. An welcher Stelle wollen Sie aussteigen?«
    »Möglichst in der Mitte.«
    »Gut.«
    Erstens war er betrunken, zweitens .konnte er auch sonst einen Tick haben. Solange er bezahlte, konnte es mir gleichgültig sein, wo er aussteigen wollte. Ich hätte ihn gegen Bezahlung auch quer durch Amerika fahren müssen.
    Als wir also einigermaßen die Mitte der Brücke erreicht hatten, hielt ich an, Obgleich es schon nach Mitternacht war, herschte noch immer ein ziemlich dichter Verkehr.
    Ich hatte meine Mühe, den Wagen ein wenig an den Rand zu kriegen, wo man anhalten konnte, ohne eine Verkehrsstauung hervorzurufen.
    Ich stieg aus, las schnell den Fahrpreis ab und öffnete ihm die Tür:
    »Bitte, Sir«, sagte ich. »Macht einen Dollar vierzig.«
    Er kam heraus und fiel mir erst einmal in die Arme. Sofort entschuldigte er sich in überraschend guten Formulierungen.
    »Macht nichts«, sagte ich.
    Er kramte in der Tasche seines hellen Staubmantels und brachte einen zerknüllten Fünf-Dollar-Schein hervor.
    »Stimmt«, sagte er, gab mir die Hand und erklärte auf einmal mit fast nüchterner Stimme: »Sie können wieder wegfahren. Ich brauche Sie nicht mehr.«
    Ich sah ihn an. Er wirkte jetzt nicht mehr so betrunken wie noch eben vor wenigen Sekunden. Einmal dies und zum anderen die Tatsache, daß er mich so betont wegschickte, machten mich nun doch ein wenig mißtrauisch.
    Ich stieg in den Wagen und wartete einen Augenblick, bis sich in der langen Verkehrsreihe meiner Fahrbahn eine Lücke zeigte, die groß genug war, daß ich eine Chance hatte, den Wagen zu wenden.
    Dabei warf ich aber immer wieder einen Blick hinaus auf die helle Gestalt in dem leichten Mantel, die reglos am Rand der Fahrbahn stand.
    Erst als ich den Wagen schon gewendet hatte, begann er, in der Stahlkonstruktion emporzuklettern.
    Da wurde mir mit einem Male seine Absicht klar. Die Brooklyn Bridge hängt garantiert an die vierzig Meter über dem East River, und wer aus einer solchen Höhe auf eine

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