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0144 - Nacht über Manhattan

0144 - Nacht über Manhattan

Titel: 0144 - Nacht über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Werner Höber
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dem Essen fertig war.
    Ich erzählte ihm meine kleinen Abenteuer.
    »Und du?« fragte ich.
    Er zuckte die Achseln, grinste und sagte:
    »Es geht.«
    Danach berichtete er von seinen Erlebnissen. Ich hörte gespannt zu, und auch die anderen Kollegen hatten sich längst rings um uns geschart.
    Plötzlich erklang die Lautsprecherstimme der Taxi-Zentrale:
    »47, Irving Place«, rief die Stimme.
    »Du bist dran, Phil!« rief Renaldo.
    Ich fuhr hoch.
    »Laß mich diese Fahrt machen, Phil!« bat ich. »Den Mann habe ich schon mal gefahren. Ich möchte gern wissen, was mit ihm los ist. Er raste wie ein Verrückter zum Bellevue Hospital.«
    Phil nickte gnädig.
    »Meinetwegen. Ich übernehme dann deine Fahrt, sobald du an der Reihe bist.«
    »Gemacht!« rief ich, stürzte den letzten Rest Kaffee hinunter und lief hinaus.
    Ein paar Minuten später hielt ich an der Stelle, wo mir der Mann von der Nachtschicht schon einmal ins Taxi geklettert war.
    »Bellevue Hospital!« rief er, »Aber schnell!«
    »Okay.«
    Ich gab Gas und fuhr ein bißchen mehr, als es eigentlich erlaubt ist. Unterwegs brummte er plötzlich:
    »Sie sind wenigstens ein vernünftiger Fahrer. Ich hatte heute schon mal einen von eurem Verein, der kroch durch die Sraßen wie eine lahme Schnecke.«
    »Die lahme Schnecke war ich.« Verdutztes Schweigen. Dann:
    »So? Hm. Na, nichts für ungut.«
    »No.«
    Wieder herrschte Schweigen. Dann fragte ich einfach:
    »Liegt Ihre Frau im Krankenhaus?« Er lehnte sich nach vorn.
    »Ja«, seufzte er. »Wir erwarten unser erstes Baby, wissen Sie.«
    Ich lachte.
    »Na, das soll doch eine ganz natürliche Sache sein!«
    »Ja. Für die anderen«, sagte er bitter.
    »Wieso? Ist Ihre Frau krank?«
    »Ja. Irgendeine heimtückische Sache mit ihrem Blut. Ich verstehe nichts davon, aber schon beim kleinsten Hautriß besteht Gefahr, daß sie verblutet.«
    Ich schwieg. Nach einer Weile sagte er:
    »So ist das.«
    Wieder herrschte Stille in unserem Wagen. Dann fuhr ich fort, um auf ein anderes Thema zu kommen:
    »Sie sind in der Nachtschicht, was?«
    »Ja. Eigentlich könnte ich nicht weg, aber ein Kollege springt ab und zu für mich ein, wenn's mal gerade ein bißchen ruhig ist. Aber das reicht dann immer nur für ein paar Minuten.« Er machte eine lange Pause, dann setzte er leise hinzu:
    »Es ist jetzt sowieso die letzte Fahrt. Ich habe keinen Cent mehr. Schon diese Fahrt lieh mir ein Kollege. Sie glauben ja nicht, was so eine verdammte Krankheit für Geld verschlingt.«
    Ich sagte nicht dazu. Als ich anhielt, fragte er nach dem Fahrpreis.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Ich habe yergessen, die Uhr einzuschalten. Aber wenn Sie sich nicht allzu lange aufhalten, nehme ich Sie wieder mit zurück.«
    Er wollte etwas sagen, aber ich gab ihm einen leichten Stoß durch das offene Fenster.
    »Machen Sie schon, Mann! Sie verplempern doch nur Zeit!«
    »Okay«, sagte er. »Okay.«
    Und dann rannte er wieder mit seinen weitausgreifenden Sätzen in das Hospital.
    Ich steckte mir eine Zigarette an und grübelte vor mich hin.
    Wie oft war ich selbst schon Taxi gefahren. Aber erst jetzt lernte ich begreifen, daß ein Taxifahrer in einer gewissen Hinsicht an der Nabelschnur der Welt sitzt. Selbstmörder und Gangster, Mörder und kleine Geschäftsleute, Kranke und Gesunde — alles fährt im Taxi, wenn man irgendwohin muß, keinen eigenen Wagen hat und aus diesem oder jenem Grund auf die U-Bahn oder den Autobus verzichten muß. Die einen zahlen Trinkgelder von fünf Dollar, die anderen kratzen die letzten Cents zusammen, um die kranke Frau schnell mal während der Nachtschicht im Krankenhaus zu besuchen, zitternd, was der Arzt wohl sagen wird.
    Ich warf meine Zigarette weg. Sie schmeckte mir nicht mehr.
    Von der Straße her flammten noch immer die Reklameschilder. New York hat noch nie zu den Städten gehört, in denen es früh dunkel wird. Manche Reklamelampen brennen bis zum frühen Morgen.
    Ich blickte an den Gebäuden des Hospitals hinauf. Hier herrschte Dunkelheit. Nur selten sah man ein erleuchtetes Fenster. Vielleicht eine wachende Nachtschwester. Oder ein Sterbender. Oder eine Geburt. Werden und Vergehen, in endloser Kette, ewig wiederkehrend, Freude und Leid bringend.
    Dies war eine Nacht, um nachdenklich zu werden. Meine Gedanken machten sich selbständig. Für einen G-man mochte es ungewöhnlich sein, denn meistens steckten wir in Situationen, wo nicht viel Zeit zum Grübeln bleibt.
    Ich weiß nicht, wie lange ich auf ihn wartete, aber

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